«Wir wissen, wohin wir wollen»
Tim Bertsche hatte vor sieben Jahren seine eigene Karriere als Eishockey-Goalie aufgrund von Verletzungsnachwirkungen vorzeitig beenden müssen. Gleich danach begann er im Alter von 19 Jahren als Goalie-Trainer bei Klotens heutigem NLB-Partnerteam Thurgau.
Trotz seiner erst 26 Jahre hat sich Bertsche in seinem Metier bereits einen Topruf geschaffen. Er ist mittlerweile beim EHC Kloten im Fanionteam und bei den U20 der Zürcher Unterländer sowie im Schweizer U20-Nationalteam für das Coaching der Torhüter zuständig. Der «Klotener Anzeiger», Schwesterzeitung des Opfiker «Stadt-Anzeigers», unterhielt sich mit Bertsche über seinen Zuständigkeitsbereich bei den Flughafenstädtern und die Arbeit mit den Goalies Ludovic Waeber und Sandro Zurkirchen.
Tim Bertsche, erzählen Sie uns von Ihrem Werdegang zum Goalie-Trainer?
Bei Zug, wo ich bei den Junioren spielte, half ich schon im Nachwuchs bei den U9 und den U11 mit. Dann wechselte ich zu Thurgau als NLB-Goalie. Gleichzeitig übernahm im ersten Jahr gewisse Trainings der Sportschule und gewisse Juniorentrainings. Dann verletzte ich mich im zweiten NLB-Jahr am Kopf. Und als es nicht vollständig wieder gut wurde und es mir nicht mehr ganz reichte, eröffnete mir Thurgau die Möglichkeit, mit knapp 20 als vollamtlicher Goalie-Trainer der Juniorenteams und der ersten Mannschaft bei Thurgau zu beginnen. Auch der heutige Klotener Assistenztrainer Benjamin Winkler setzte sich für diese Chance für mich ein.
Wie sieht ein Tagesablauf als Goalie-Trainer bei Kloten aus?
Der Tag beginnt für mich um 7 oder 7.15 Uhr im Büro, oft ist dann auch schon Beni Winkler (ist bei Kloten für die Verteidiger zuständig – Red.) bereits da. Dann beginnt die Planung. Für die Mannschaft mache ich dann auch noch einiges in Sachen Videoanalyse. Torhüterspezifisch mache ich eine Analyse von vergangenen und anstehenden Spielen, bei anstehenden Spielen einen Pre-Scout des Gegners. Wir analysieren beispielsweise die einstudierten Spielzüge des Gegners. Einfach alles, was wichtig ist zu wissen, damit unser Goalie weiss, was in etwa auf ihn zukommt, und er gewappnet ist. Wir bereiten uns vor, wie wir gewisse Situationen spielen wollen. Danach folgt die Umsetzung auf dem Eis. Ich mache gleichzeitig auch noch Videoanalyse für die U20-Torhüter von deren vergangenen Spielen und betreue sie in den Trainings.
«Man versucht, auch die Torhüter so einzustellen und aufzubauen, dass sie mit Selbstvertrauen und Überzeugung spielen.»
Wie werden die Gegentore analysiert?
Gegentore sind ein Produkt von Fehlern, die auch sonst im Spiel passieren, deshalb bauen wir die Analyse nicht auf den Gegentoren auf, sondern auf dem gesamten Spiel. Aber im Spiel selbst gibt es natürlich noch viele andere Szenen ausser den Gegentoren. Pro Spiel habe ich so rasch 70 bis 80 Szenen zusammen, die für den Torhüter relevant sind. Dabei geht es nicht immer um einen Torabschluss. Vor dem Spiel setzen wir mit dem Goalies vier Themen, an denen wir arbeiten. Das heisst, wir haben einen Punkt zum Spiel, einen technischen, einen taktischen und einen mentalen Punkt. Anhand dieser Themen werden dann das Video und das Training aufgebaut.
Welches konkretes Feedback erhält ein Goalie von Ihnen?
Wir orientieren uns an unserer Spielidee beziehungsweise am Game-Plan. Wie lesen wir Situationen, wie tief stehen wir, welchen Winkel müssen wir spielen? Das kann man beim Video gut anschauen und besprechen. Dann bei Screen-Situationen, wo und wie man diese betrachtet. Bei welchen Pushs sollten die Augen noch früher folgen? Wo und wie kann besser rotiert werden? Dann geht es auch um die Feinarbeit von technischen Details.
Wie läuft die Kommunikation des Goalies mit den Mitspielern?
Es sind immer sechs Leute von uns auf dem Eis. Und die wollen natürlich zusammenarbeiten. Dazu gibt es natürlich schon voraus Absprachen, vom Goalie zum Verteidiger zum Beispiel. Also wann ein Goalie beispielsweise eine Scheibe beim Rauslaufen holt. Dann klären wir, wie wir 2:1-Situationen meistern wollen. Der Goalie hat einen guten Überblick von hinten. Da ist es wichtig, dass er gut und aktiv kommuniziert. Und dass somit klar ist, wann er wie unterstützend für die Verteidiger eingreifen kann. Dies sind aber sicher Sachen, die auch innerhalb des Trainerteams besprochen werden.
Wie würden Sie Klotens Torhüterduo Ludovic Waeber und Sandro Zurkirchen beschreiben?
Zunächst einmal sind es zwei absolute Profis. Sie sind sehr offen und wollen sich täglich verbessern. Vom Stil her sind sie unterschiedlich. Zurkirchen ist im Vergleich zu Waeber eher klein. Waeber deckt mehr Fläche ab, mit ihm muss oder kann man etwas anders spielen. Zurkirchen liest das Spiel sehr gut, ist geduldig, ist schnell auf den Beinen. Ludo kann ein wenig mehr mit seiner Fläche arbeiten.
«Wir trainieren auch viel mit offenen Spielsituationen, die nicht einfach zu lesen sind, so wie es eben auch im Spiel vorkommt. »
Weshalb hatte Klotens Nummer-1-Keeper der letzten beiden Saisons, Juha Metsola, in der letzten Saison nicht mehr an seine Leistungen der vorangegangenen Saison anknüpfen können, als er noch massgeblichen Anteil an Klotens Vorstoss in die Pre-Playoffs besass?
Es kamen viele Sachen zusammen. In der ersten Saison fand er wie das Team in einen Flow, viele Situationen sind damals für uns aufgegangen. In der zweiten Saison nach dem Wiederaufstieg haben wir zu wenig Struktur gehabt und zu viele Torchancen zugelassen. In der Vorsaison war es umgekehrt gewesen: Wir liessen immer weniger Chancen zu, und Juha hatte viele «Big Saves» (grosse Paraden) verzeichnet. Und in der letzten Saison fehlten ein wenig die Energieelemente. Wir als Goalie-Team brachten dies irgendwie nicht mehr zu Stande. Technisch-taktisch war es eigentlich kein grosser Unterschied. Es war mehr der mentale Aspekt, der dann eine Rolle spielte. Das Momentum konnten wir in der Vorsaison nie über einen längeren Zeitraum an uns reissen. Es gelang uns einfach nicht.
Welche Lehren kann man daraus ziehen?
Natürlich analysieren wir immer eine Saison und hinterfragen uns: Was hat gut funktioniert und was nicht? Das gilt auch für die Torhüter. Man versucht, auch die Torhüter so einzustellen und aufzubauen, dass sie mit Selbstvertrauen und Überzeugung spielen. Der mentale Aspekt spielt da natürlich immer auch eine Rolle.
Beide Goalies arbeiten wohl auch mit Mentaltrainern zusammen …
Das ist individuell, es muss sehr für den Goalie passen. Wir versuchen ihnen die Tools zu geben, die unterstützend wirken. Wir arbeiten schon auch mit gewissen Übungen auf mentaler Ebene.
Ist die Hierarchie aber schon so, dass Ludovic Waeber die Nummer 1 ist und Zurkirchen ihn als Back-up für ein Dutzend Spiele oder etwas mehr entlasten wird?
Hockey ist so ein schnelllebiges Spiel. Da würde ich nicht von einer fixen Rollenverteilung sprechen, sondern davon, dass wir zwei sehr gute Schweizer Torhüter haben, die beide für uns Spiele gewinnen können. Im Verlaufe der Saison wird man sehen, wie sich das entwickelt. Es wäre auch auf anderen Positionen falsch, zu sagen, dieser oder jener hat seinen Stammplatz für die ganze Saison auf sicher. Es zählt das Leistungsprinzip. Beide Torhüter spielten in der Vorbereitung sehr gut. Aber das Potenzial von Ludovic Waeber ist sehr gross, das ist klar.
Gab es neue Tools und Entwicklungen im Goalie-Training, die in den letzten Jahren aufgekommen sind?
Ja, wir versuchen immer etwas innovativ zu arbeiten. Gerade im neuroathletischen Bereich gibt es diverse interessante Sachen, was es alles gibt und was es alles noch geben wird in Zukunft. Aber am Ende bildet immer noch das tägliche Arbeiten auf dem Eis die Basis und das, was das Goalie-Training ausmacht. Aber ich glaube schon, dass man offen und kreativ sein muss, um coole und gute Lösungen zu entwickeln. Wir trainieren auch viel mit offenen Spielsituationen, die nicht einfach zu lesen sind, so wie es eben auch im Spiel vorkommt, dass nicht alles klar und vorgegeben ist. Gleichzeitig finden natürlich auch technische Trainings statt, die klar auf unsere eigene Spielausrichtung ausgerichtet sind. Das heisst: So wollen wir spielen oder dafür wollen wir einstehen.
«Aber es gibt sonst viel Individualität, und die Spielart ist auf die jeweiligen Stärken des Goalies ausgerichtet.»
In welchen Bereichen wird mit den Torhütern im Off-Ice-Training gearbeitet?
Grundsätzlich geht es ums Erkennen und Antizipieren. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit Lichtern, Zahlen zum Merken auf den Bällen. Es sind dies dann auch mehr spielerische Trainings innerhalb der Vorbereitung im Sommer.
Und wie lauten Ihre eigenen Erkenntnisse im Goalie-Coaching? Welche Tools sind besonders effektiv?
Ich habe mich in den sechs Jahren sicher persönlich als Goalie-Trainer weiterentwickelt. Ich habe inzwischen Tools gefunden, an die ich glaube. Gleichzeitig findet man immer etwas Neues. Das Coole im Job ist, dass du im Austausch mit dem Goalie stehst und dadurch etwas entwickeln kannst. Es ist nicht ein Bestimmen vom Goalie-Trainer, sondern ein gemeinsames Suchen und Finden nach Lösungen – ein Zusammenspiel. Es muss Sinn ergeben. Man kann sich dadurch gegenseitig besser machen, und alle können profitieren. Man kann innovativ arbeiten.
Aber dennoch ist eine gezielte Struktur vorhanden.
Es gibt natürlich schon gewisse Prinzipien, wie wir spielen und für die wir als Team stehen wollen. Diese Leitplanken hat es schon. Aber es gibt sonst viel Individualität, und die Spielart ist auf die jeweiligen Stärken des Goalies ausgerichtet. Der eine steht früher beim Pfosten oder einen halben Schritt weiter vor dem Tor als der andere.
«Wir wollen in der Offensive schnell und gut zusammenspielen, kreativ sein. Und gleichzeitig defensiv sehr solid sein.»
Und in den U-Nationalteams sind Sie seit vier Jahren als Goalie-Trainer tätig?
Ich machte vier Jahre die U17, ein Jahr die U18 und nun mache ich die U20. Im U17-Staff hatten wir eine unglaublich gute Zusammenarbeit und lernten dabei enorm viel von Headcoach Patrick Schöb. Er hat mich als Coach unglaublich geprägt und enorm weitergebracht. Dann ist der Staff als Rotation weiter in die U18 aufgestiegen und in diesem Jahr nun in die U20.
Inwiefern hatten Sie bei Swiss Ice Hockey mit dem heutigen Klotener Sportchef Ricardo Schödler zu tun, der bis zuletzt Nationalteam-Manager war?
Im Nationalteam arbeiteten wir nicht gross zusammen, da er mehr mit dem A-Nationalteam unterwegs war. Aber ich kannte ihn schon gut von Anlässen oder Mittagessen beim Verband. Er wirkt hier mit modernen Ansätzen, liefert gute Inputs und coole Ideen und hinterfragt auch vieles kritisch. Wir hatten einen guten Start, und die Zusammenarbeit ist sehr angenehm.
Und die Zusammenarbeit mit dem neuen Trainer Lauri Marjamäki?
Es ist vieles neu unter ihm. Aber es gibt einen klaren Plan mit ihm und eine gute Struktur. Und auch der neue Assistent Beni Winkler, den ich von Thurgau her schon gut kenne, arbeitet enorm viel und detailliert mit den Verteidigern. Dazu kommt der Stürmerverantwortliche Kimmo Rintanen, mit dem ich nun schon seit vier Jahren auch sehr gut zusammenarbeite hier in Kloten.
Wie lautet Klotens Spielidee?
Wir wollen in der Offensive schnell und gut zusammenspielen, kreativ sein. Und gleichzeitig defensiv sehr solid sein. Die Spieler wissen, was sie wollen und was es dazu braucht, um es umzusetzen. Dies ist eine wichtige Basis.
Und weshalb wird Kloten in dieser Saison besser sein als in der Vorsaison?
Wir haben viel gelernt. Und weil wir einen klaren Plan haben – in der ganzen Organisation wissen wir, wohin wir wollen. Und weil wir jeden Tag hart dafür arbeiten, um eine stabile Saison zu spielen und einen Schritt nach vorne zu machen.
Heimspiel-Auftakt gegen Bern
Im ersten Heimspiel der neuen Saison empfängt Kloten heute Freitag ausgerechnet den SC Bern mit dem langjährigen Klotener Team- und Aggressivleader Marc Marchon, der erst auf diese Saison hin zum SCB gestossen ist.
Aber auch in der sportlichen Führung des SCB sitzen zwei in Kloten bestens bekannte Persönlichkeiten: Patrik Bärtschi, der vorletzte Sportchef von Kloten, ist neu in der gleichen Funktion beim SCB aktiv. Und geholt wurde er vom Ex-Klotener Martin Plüss, der zusammen mit Bärtschi während vieler Jahre auch in der Nationalmannschaft stürmte. Der eloquente und mit enormem Eishockey-Verstand ausgestattete Plüss wirkt beim SCB als Sportdirektor.
Bei den Bernern gab es in der Saisonpause neben dem Eis unter anderem den nicht näher begründeten Rückzug der Schweizer Eishockey-Legende Mark Streit aus dem Verwaltungsrat. Auf dem Eis ist Verteidiger Ramon Untersander der neue Captain, da Simon Moser in der Saisonvorbereitung gesundheitlich bedingt kürzertreten muss(te). Für den SCB ist die Ausgangslage vor der Saison klar: Alles andere als eine direkte Playoff-Qualifikation (Top 6) ist für das Selbstverständnis des Liga-Giganten nicht akzeptabel.
24 Stunden nach der Partie gegen den SCB folgt das Auswärtsspiel in Ambri-Piotta, das sich im Sommer unter anderem mit Klotens Topskorer der letzten Saison verstärkte, dem Kanadier Jonathan Ang. Und am Dienstag wird Kloten in seinem zweiten Heispiel den Fast-Meister HC Lausanne empfangen. Erst im siebten und letzten Playoff-Finalspiel um den Titelgewinn der letzten Saison zogen die Waadtländer bei den ZSC Lions den Kürzeren. (sto.)