Von der Spitzenathletin zur Wohlfühlsportlerin

Richard Stoffel

Das Nach-Sport-Leben der Triathlonlegende Daniela Ryf wurde verfilmt. Der Film zeigt, wie aus einer Spitzenathletin eine Wohlfühlsportlerin wurde. Im Interview mit dem «Klotener Anzeiger» erzählt sie über ihr neues Leben und dass sie nach wie vor gerne läuft.

Am vergangenen Wochenende kommentierte Daniela Ryf für Ironman.com das Rennen auf Hawaii – jenen sagenumwobenen Triathlon, den sie selbst viermal gewann und sich dadurch in die Geschichtsbücher eintrug.

Statt mitten im Dreikampf der Schmerzen stand sie nun hinter dem Mikrofon – gelassen, konzentriert und mit einem nur noch leisen Schimmer von Wehmut. «Es gibt Spitzensportler, die sagen, dass nach dem Ende der Karriere ein Teil von einem stirbt. Dieses Gefühl habe ich aber null», betont die Schweizer Sportlerin des Jahres 2015 und 2018.

Der neue Dokumentarfilm Life After Elite Sport zeigt, wie aus der Triathlon-Ikone eine Frau wurde, die Bewegung wieder als Lebensfreude versteht. Ryf schildert ihre Projekte, teilt ihre Erfahrungen und zeigt ihre neu gewonnene Freiheit – etwa beim gemeinsamen Kochen mit ihrer Lebenspartnerin.

Der «Stadt-Anzeiger» sprach anlässlich der Filmpremiere exklusiv mit der Triathlonlegende. Daniela Ryf erklärt, was ihr das Leben nach dem Leistungssport lehrt – und warum sie trotzdem noch immer gerne lange läuft. Sie erzählt, wie aus einer hochfokussierten Spitzensportlerin eine Frau wurde, die Freude, Freiheit und Bewegung wieder als Ganzes wahrnimmt  – fernab von Startnummern. Gut ein Jahr nach ihrem Rücktritt scheint die 38-Jährige ihren eigenen Rhythmus gefunden zu haben.

Daniela Ryf, weshalb ein Film über Ihre Zeit nach der Karriere?

Ich wollte ursprünglich ein Buch schreiben. Doch der Filmemacher überzeugte mich, dass ein Film mehr Menschen er­reichen könnte. Also ging ich zu meinen Sponsoren und Partnern, um die Finanzierung zu sichern - und tatsächlich gelang uns das. Für mich ist es eine grosse Ehre, nach meiner langen Triathlonkar­riere so einen Film zu bekommen. Gleichzeitig zeigt er auch, wie man sich nach dem Sport in der Arbeitswelt zurechtfindet. Der Sport hat mir dafür viele Fähigkeiten mitgegeben, die mir jetzt helfen. Natürlich muss man Neues lernen, aber die Erfahrungen aus dem Spitzensport sind eine wertvolle Basis.

Wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Jeder Tag ist etwas anders. Einmal pro Woche arbeite ich beim Start-up Muuvr. Zudem bin ich für den Radhersteller Felt in der Schweiz tätig, der ab nächstem Jahr auch in der Schweiz bei Händlern präsent sein wird. Dieser Aufbau des Vertriebs­netzes in der Schweiz ist gerade eine ­zeitintensive Aufgabe. Daneben habe ich eigene Projekte, etwa die Foundation für benachteiligte Kinder oder Bike-Genusstouren mit Weindegustation (eine Kombination von gemeinsamer Radtour durch landschaftlich schöne Weinregionen und kulinarischem Genuss, Anm. d. Red.).

Sie wirken immer noch topfit. Könnten Sie einen Ironman auch heute mit deutlich weniger Training immer noch sagen wir unter elf Stunden finishen?

Einen Ironman werde ich sicher nicht mehr bestreiten. Das Kapitel ist abgeschlossen. Ich trainiere rund sieben Stunden pro Woche (früher waren es bis zu 35, Anm. d. Red.), aber ohne Wettkampfambitionen. Der Sport ist jetzt für mich da, um mich fit und ausgeglichen zu fühlen. Wenn ich etwas machen würde, dann richtig, doch meine Energie fliesst nun in meine Projekte. Früher war der Sport mein Lebensmittelpunkt, jetzt ist er mein Ausgleich. Und er fördert mein Wohlbefinden, geistig und körperlich.

Es gibt eine Symbolik beziehungsweise Mythologie zur hawaiianischen Salatschüssel, welche die jeweils zehn bestklassierten Profis beider Geschlechter sowie die Top 5 der jeweiligen Age Group am Ironman Hawaii gewinnen können. Sie steht für «Ehre, Erfolg, Erfüllung und das Vollenden eines Weges». Oder dafür, dass man etwas in seinem Leben abschliessen kann, wenn man sich diese Schale ergattert.

Ja, so ist es. Doch für mich gibt es kein Falsch oder Richtig. Wenn jemand weiterhin Freude hat, Wettkämpfe zu bestreiten, soll er dies tun. Ich weiss, wie schön es ist, fit zu sein. Doch ich kann mir jetzt den Druck nehmen und muss nicht mehr den Anspruch haben, fit zu sein. Gut, als Normalbürgerin bin ich immer noch fit, aber bei weitem nicht mehr so, wie ich es war. Es ist aber wirklich okay für mich. Meine Motivation, Sport zu treiben, ist jetzt natürlich schon immer noch vorhanden. Einfach in dem Sinne, dass ich mich zufriedener und wohler fühle in meinem Körper, wenn ich mich sportlich betätige. Ich möchte noch dazu fähig sein, eine Stunde joggen zu gehen und dies als toll empfinden. Das ist noch das Ziel – gut, es kann auch noch ein wenig länger sein. Freude an längeren Läufen habe ich immer noch oder sogar mehr als früher, auch wenn das Tempo nicht mehr so hoch ist.

Sie fliegen oft von Kloten ab, am vergangenen Montag ebenso. Welche Bedeutung hat die Flughafenstadt für Sie?

Sie ist fast wie eine zweite Heimat. Es gibt dort gute Sandwiches – und das Gefühl des Heimkommens in Kloten ist jedes Mal auch besonders schön. Nach der Rückkehr wieder in der Schweiz zu sein, ist immer grossartig.

In Kloten wird ja auch ziemlich gut Eishockey gespielt.

Das kennt vor allem mein Bruder Joel, der früher selbst beim SC Langenthal gespielt hat.

Am Ironman Hawaii der Frauen in der Nacht vom letzten Sonntag fehlten die beiden grössten Schweizer Hoffnungsträgerinnen: Die qualifiziert gewesene Olympia-Zweite Julie Derron musste wegen der Folgen eines Radsturzes passen, während die aufstrebende Alanis Siffert wohl erst 2026 erstmals in Hawaii antreten wird ...

Das war schade. Julie Derron war auf einem hervorragenden Weg. Sie hat über die Halbdistanz schon tolle Rennen gezeigt und braucht noch ein bis zwei Jahre, um auch über die Langdistanz ihr volles Potenzial zu entfalten. Sie hat alles, was es dazu braucht. Auch Alanis ist sehr willensstark und bissig. Beide werden uns noch viel Freude bereiten.

Wer von den beiden hat das Potenzial, Hawaii zuerst zu gewinnen?

Das ist schwer zu sagen. Momentan wäre Julie läuferisch wohl etwas weiter. Alanis hat dafür bei T100-Rennen schon mit der besten Radzeit geglänzt. Wir dürfen uns da auf einiges freuen.

Ab 2026 starten Frauen und Männer wieder gemeinsam in Kona, nachdem die letzten vier Jahre getrennte Ironman-Weltmeisterschaften stattfanden, je zweimal in Nizza und in Kona. Was halten Sie von diesem «Zurück in die Zukunft»?

Ich finde das sehr gut für die Community. Paare können wieder gemeinsam reisen und sich das leisten. Auch für Medien und Sponsoren ist es einfacher und finanziell weniger belastend.

 

Ryfs Erfolge, Tätigkeitenund Exakt-Prognose

Daniela Ryf gilt als eine der grössten Triathletinnen aller Zeiten. Die 38-jährige Solothurnerin gewann je fünf WM-Titel über die halbe und komplette Ironman-Distanz und war davor bereits Mixed-Team- sowie U23-Weltmeisterin. Im Herbst ihrer Karriere schrieb sie nochmals ­Geschichte: 2023 stellte sie in Roth die Frauen-Weltbestzeit über die Ironman-Distanz auf (8:08:21 Stunden), die ein Jahr Bestand hatte. Davor war sie unter anderem Olympia-Siebte (2008) sowie Mixed-Team- und U23-Weltmeisterin.

Vor gut einem Jahr beendete Ryf ihre aktive Karriere. Heute arbeitet sie für das Start-up Muuvr, das 2022 gegründet wurde und an dem sie als Investorin beteiligt ist.

Zudem engagiert sie sich in Projekten wie der Daniela Ryf Foundation, die Bildung und Gesundheit in Kenia fördert, und wirkt als Markenbotschafterin für den Fahrradhersteller Felt in der Schweiz. Anfang letzter Woche flog sie von Kloten aus nach Hawaii, wo sie auf Big Island die Ironman-WM der Frauen für Ironman.com mitkommentierte – dort, wo sie selbst viermal triumphierte.

Ryfs Rennprognose der fünf Favoritinnen für das dramatische Frauen-rennen bewahrheitete sich: Die Norwegerin Solveig Løvseth gewann als Rookie. Sie konnte noch 35 Sekunden Vorsprung auf die Britin Kate Matthews ins Ziel retten. Die entthronte deutsche Titelverteidigerin Laura Philipp wurde Dritte. Ex-Weltmeisterin Lucy Charles-Barclay aus Grossbritannien gab nach rund 25 Laufkilometern überhitzt auf, davor war sie bereits von der Amerikanerin Taylor Knibb wieder überholt und distanziert worden. Doch selbst mit dem Sieg vor Augen schwanden auch bei Knibb noch die Kräfte. Sie musste sich bei Kilometer 39 hinsetzen – ihre Beine liessen keine Fortsetzung des Rennens mehr zu.