Sozialhündin Oriana gibt Energie für den letzten Weg
Christina Bucher aus Kloten begleitet auf der Palliativabteilung im Spital Bülach mit der Sozial- und Blindenführhündin Oriana schwer kranke Menschen auf einem Teil ihres letzten Lebensweges.
Im Mai 2021 war es so weit: Christina Bucher und ihre Hündin Oriana haben nach einer langen Ausbildungsphase im Spital Bülach mit der tiergestützten Betreuung begonnen. Seither sind die beiden in der Regel jeden Mittwochnachmittag in der Palliativabteilung, in der Menschen multiprofessionell betreut werden, die medizinisch austherapiert sind und aufgrund unheilbarer, lebensbedrohlicher oder chronisch fortschreitender Krankheiten eine reduzierte Lebenserwartung haben. «Meistens sind wir eine halbe Stunde beim Patienten», sagte Bucher und bemerkte, dass der schwer kranke Mensch durch den Körperkontakt mit der Hündin ruhiger wird. Positive Veränderungen der Vitalzeichen wie Puls, Blutdruck und Sauerstoffsättigung könnten medizinisch nachgewiesen werden. Bei verschiedenen Testläufen sei festgestellt worden, dass Oriana Krankheits- und Sterbephasen realisiere und dem Patienten entsprechend mehr Energie gebe, erläutert Bucher und fährt fort: «Wenn bei einem Menschen der Sterbeprozess beginnt und die Hündin die Ausdünstungen des Körpers und den speziellen Atem riecht, geht sie nicht von alleine vom Bett. Es kam schon öfters vor, dass der Patient innerhalb von drei Tagen nach einem solchen Verhalten der Hündin verstorben ist.» Sie rieche den chemischen Prozess, wenn ein Mensch sterbe, sagte Bucher und bemerkt, dass auch ein «Epidog» drei Tage vor einem epileptischen Anfall seines Herrchens ebenfalls ein Signal von sich gebe. Bucher betont, dass Oriana von Patienten und Angehörigen durchwegs positiv angenommen wird und in den Arbeitsalltag der Angestellten Abwechslung und Freude bringt.
Vom Umgang mit dem Tod
«Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur davor, dass der Bestatter nicht respektvoll mit mir umgehen könnte», sagte Bucher. Sie ist auch im Care-Team von «CareLink» Glattbrugg, das Menschen, die von einem ausserordentlichen Ereignis betroffen sind, emotional und praktisch betreut. Sie hat eine gute Resilienz, mit dem Tod umzugehen, und kann ihn vom Alltag abgrenzen. Christina Bucher weiss aber auch, das man aufpassen muss, dass man den Respekt vor dem Tod nicht verlieren darf. Bei den Gesprächen mit den Patienten vermittelt sie wohl Mitgefühl, aber keinesfalls Mitleid und hört aktiv zu, ohne irgend etwas zu werten.
Bezüglich des Glaubens und des Lebens nach dem Tod äussert sie sich nicht bei den Patienten. «Meine Religion sind Natur, Pflanzen, Tiere und die Hilfe, die Menschen benötigen, wenn ich für sie da sein kann», so Bucher weiter, die in der Energie des Menschen die Seele sieht. «Der menschliche Körper ist mit Energie geladen, und diese entweicht beim Tod in ein neues Leben», glaubt die Klotenerin, die als Kind selbst zwei Reinkarnationserfahrungen machte.
Halifax gab die Richtung vor
Christina Bucher ist mit ihrem Mann Franz verheiratet und kinderlos. Mittlerweile ist die gelernte Pflegefachfrau Anästhesie pensioniert. Bucher war zwölf Jahre lang mit einem 70-Stellenprozent-Pensum beim Medicoll-Callcenter angestellt und begleitete im Auftrag von verschiedenen Versicherungsgesellschaften Repatriierungen, worunter man den Transport- und den Organisationsvorgang versteht, erkrankte oder verletzte Personen aus dem Ausland in die Heimat zurückzubringen. «Ich war weltweit unterwegs, 60 Mal in Thailand und weiss Gott wo noch überall», sagte sie. Damit sie medizinisch an der Sache blieb, arbeitete sie zudem noch zu 40 Prozent als Anästhesieschwester im Spital Bauma. Ein einschneidendes Erlebnis hatte sie am 2. September 1998, als sie bei einer Repatriierung den Flug von New York nach Genf nehmen sollte, dann aber mit dem nächsten Flieger nach Zürich flog. Das Flugzeug nach Genf ist bei Halifax abgestürzt, und alle 229 Personen kamen dabei ums Leben. Christina Bucher bekam dann einen Nervenzusammenbruch, weil sie nicht verstehen konnte, dass eine Maschine der Swissair abstürzen konnte. «Das Flugzeug war meine Stube», sagt Bucher, die danach noch drei oder vier Flüge machte und dann aufhörte. Anschliessend arbeitete sie im mobilen Blutspendedienst und leitete acht Jahre das Sekretariat der Kirchgemeinde Russikon. Als ihre Mutter und ihr Mann gleichzeitig kurzfristige Unterstützung benötigten, legte sie ein Jahr lang eine berufliche Pause ein. Danach suchte sie einen neuen Job und bekam keinen mehr. «Es hiess, ich sei zu lange an keinem Patientenbett mehr gewesen», so Bucher, die sich dann der Freiwilligenarbeit widmete.
Auf den Hund gekommen
Christina Bucher hatte bis zu ihrer Pensionierung berufsbedingt nie einen Hund besessen. «Als Kind wünschte ich mir aber einen schwarzen ‹Labi›», sagte die 65-Jährige. Bei einer hilfsbedürftigen Nachbarin hütete sie immer wieder einen schwarzen Labrador. Daraus wuchs eine enge Beziehung. Als dieser dann starb, kam bei ihr der Wunsch nach einem eigenen Hund wieder auf, und sie bewarb sich bei der Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde in Allschwil für einen pensionierten Blindenführhund. Mittlerweile hütete sie an Wochenenden und bei Ferienabsenzen im Wohnquartier einige Hunde und wurde auch angefragt, in Winterthur einen Blindenführhund zu betreuen, der einer selbstständigen Physiotherapeutin gehörte, die in ihrer Kindheit durch eine Krankheit vollständig erblindet war. Dort kamen dann Christina und Oriana zusammen.
Die 12-jährige Hündin ist eine Mischung aus den Rassen Retriever und Labrador. Bucher betont, dass Oriana kein Therapiehund, sondern ein Sozialhund und Blindenführhund sei. Ein Sozialhund sollte ein ruhiges und gutes Gemüt haben, dem man Vertrauen kann, er muss gehorchen, kontaktfreudig und neugierig sein, und er sollte nicht bellen, sabbern und keine Menschen anspringen. «Er darf vor allem nicht ängstlich sein und muss Freude am Schaffen haben», sagte seine Halterin. Oriana, die der Hundeschule in Allschwil gehört, war als Welpe anderthalb Jahre zur Grundausbildung bei einer Patenfamilie. Dann ging sie zurück an die Hundeschule und wurde auf ihre Eignungen getestet und von einem Instruktor entsprechend ausgebildet. Danach war sie vier Jahre als Blindenführhund im Einsatz. Als sie vor sechs Jahren plötzlich lärmempfindlich wurde und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte, wurde sie pensioniert.
Lebenszyklus von Oriana nähert sich dem Ende
Nachdem Christina Bucher bereits zwei Jahre auf der Warteliste der Hundeschule gestanden war, bekam sie Oriana zugewiesen. Im zweiten Jahr, in dem sie mit der Hündin zusammen war, machte die ehemalige Anästhesieschwester in Allschwil den neunmonatigen Sozialhundekurs. «In der Ausbildung lernt man den Hund kennen und lesen, und es wird ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut», sagt Bucher und bemerkt, dass die Konversation mit der Hündin über die Mimik und die Körperhaltung erfolgt.
Die Hundehalterin aus Kloten arbeitet direkt mit dem Spital Bülach zusammen und muss der Hundeschule entsprechende Rückmeldungen geben. Die Hundeschule überprüft regelmässig die Besuche im Spital und führt Beurteilungen durch. «Wir machen das so lange, wie Oriana das will», sagt Bucher, die sich in Allschwil bereits für einen zweiten Hund beworben hat, da das Durchschnittsalter eines Labradors nur etwa 12 Jahre beträgt. «Ich möchte, so lange es geht, mit zwei Hunden arbeiten und dann einen fliessenden Übergang schaffen», sagt Bucher, die nach den neusten Bestimmungen auch mit Oriana in der Intensivpflegestation des Spitals Bülach zu den Patienten darf.
Die Sozialhündin Oriana fühlt sich daheim bei Christina Bucher in Kloten sichtlich wohl. Bilder Thomas Güntert
Hündin Oriana sorgt bei den Patienten der Palliativabteilung durch den Körperkontakt für eine Verbesserung der Vitalzeichen.