Skyguide sucht die Fluglotsen von morgen
Rund zweitausend Personen besuchen die Firma Skyguide an ihrem Tag der offenen Tür. Führungen, Stände und Präsentationen geben Einblick in die Welt des Flugverkehrs — die hohen Nachwuchsbedarf hat.
Zügig beginnt der Wind zu ziehen. Die Wolken werden dunkler und bewegen sich schneller als zuvor. Die Flugverkehrsleiter der Firma Skyguide sitzen vor ihren Bildschirmen und koordinieren den Flugverkehr der Schweizer Flughäfen und Lufträume. Sie starren auf Radarsysteme und kommunizieren über Funk mit den Piloten. Durch die Veränderung des Wetters macht sich eine leichte Nervosität breit. Die Lotsen müssen auf alles gefasst sein — das mögliche Unwetter macht ihre Arbeit unberechenbar und fordert intuitive Entscheidungen.
Johannes Hasler ist stellvertretender Chef des Air Defence and Direction Centre bei Skyguide und wurde 2018 von dieser Zeitung während seiner Ausbildung zum Flugverkehrsleiter porträtiert. Inzwischen ist er zuständig für die Planung der militärischen Übungsflüge gemeinsam mit der Schweizer Luftwaffe und trifft organisatorische Entscheidungen zwischen dem zivilen und militärischen Flugverkehr. Er sagt: «Insbesondere in Situationen, in denen Gewitterwolken aufziehen, steigt schnell mal der Puls eines Flugverkehrsleiters.» Das sei dann nichts für schwache Nerven und fordere ein enormes Konzentrationsvermögen.
Doch dafür führt Skyguide ihr hauseigenes Ausbildungsprogramm, das innerhalb von drei bis vier Jahren lizenzierte Flugverkehrsleiter ausbildet. Interessenten konnten sich über das Ausbildungsprogramm und die weiteren Berufsmöglichkeiten der bundesnahen Firma am vergangenen Samstag schlaumachen: Skyguide öffnete die Türen für einen informativen Anlass, an dem rund 2000 Personen teilnahmen.
Viele Interessenten in Wangen
«Es freut mich zu sehen, dass so viele Personen an unserer Arbeit interessiert sind», sagt Hasler zur erfreulichen Besucherzahl. Das schaffe Hoffnung, den Nachwuchsbedarf bald zu stillen. Posten in der Koordination des Flugverkehrs sind unterbesetzt, weswegen dieselbe Arbeit auf weniger Angestellte verteilt wird.
In der Schweiz zeigt sich das Problem vor allem auf regionalen Flugplätzen wie in Sitten. «Die Jungen wollen in Genf und Zürich im Tower arbeiten — diese Orte sind für sie lässig — und vergessen, dass es in Grenchen und Altenrhein genauso wichtig ist, den Flugverkehr zu organisieren», sagt Vladi Barrosa, Medienverantwortlicher der Skyguide.
Neben dem Tag der offenen Tür setzt die Marketingabteilung der Unternehmung auf Werbung, die spezifisch auf Jugendliche gerichtet ist. So kooperieren sie mit Influencern auf den sozialen Medien und verweisen in Kinowerbungen auf die Stellen der Unternehmung. Neben Veranstaltungen in ihrer Zentrale in Wangen bei Dübendorf geht Skyguide mittlerweile auch auf den potenziellen Nachwuchs im Tessin und der Romandie zu und führt dort Informationsanlässe durch. Jedoch hat es der nischenhafte Beruf noch immer schwer, in die Auswahl der Arbeitseinsteiger zu gelangen.
Nur 3 von 100 werden Fluglotsen
Gering ist die Ausbeute beim Nachwuchs auch aufgrund des strikten Selektionsverfahrens der Aufnahmeprüfung in das Programm sowie der Abschlussprüfungen. Johannes Hasler hat das am eigenen Leib erfahren müssen. Der gebürtige Österreicher wollte sich nach seinem Jurastudium neu orientieren und stiess per Zufall am Tag der offenen Tür des Flughafens Zürich auf Skyguide und ihre Tätigkeit im Flugverkehr. Er entschied sich, an der Aufnahmeprüfung der Skyguide teilzunehmen — dem First European Air Traffic Selection Test (FEAST), der die Daueraufmerksamkeit, visuelle Wahrnehmung und das Reaktionsvermögen unter monotonen Rahmenbedingungen prüft. Der Bregenzer bestand das Auswahlverfahren und wurde einer von rund fünf Prozent, die an der Ausbildung teilnehmen konnten.
Vier Jahre lang absolvierte er die Ausbildung zum Flugverkehrsleiter, scheiterte allerdings an den Abschlussprüfungen, die durchschnittlich nur die Hälfte der Lernenden besteht. «Glücklicherweise habe ich während meiner Ausbildungszeit Kontakte in andere Abteilungen geknüpft, sodass ich meine momentane Anstellung erhielt», sagt Hasler.
Die Erfahrungen aus der Ausbildung zum Fluglotsen helfen ihm noch heute, sich bei der Organisation von Operationen in die Lage der Verkehrsleiter zu versetzen. Durchschnittlich schaffen es drei Prozent von jenen, die sich für die Abschlussprüfung angemeldet haben, schliesslich zum lizenzierten Flugverkehrsleiter. Bewirbt sich somit jeder Zweite von den 1100 Besuchern des Tags der offenen Tür für den FEAST, so ist es gut möglich, dass die Anzahl der Personen, die letztlich Fluglotsen werden können, irgendwo um die 16 liegt. «Die Selektion ist knallhart. Allerdings müssen wir die internationalen Anforderungen einhalten», so Mediensprecher Barrosa.
Sicherheit – auch wenn Besuch da ist
In der Zentrale von Skyguide werden am Tag der offenen Tür ständig Touren von Experten durchgeführt. Ein Teil davon findet im Sicherheitsbereich statt, wo die Fluglotsen ihren Arbeitsplatz haben. In Gruppen von maximal zwanzig Personen begeben sich die Besucher nach Abgabe der ID am Tresen mit einem Badge in den Sicherheitsbereich. Dieser ist streng bewacht — ein Security-Mitarbeiter steht vor dem Eingang, der auch über Videoüberwachung kontrolliert wird.
Darin angekommen, dürfen die Besucher nicht in die Kontrollzentrale der Flugverkehrsleiter, da diese dadurch bei ihrer Arbeit gestört werden könnten. Zwei Tage vor dem Anlass durfte diese Redaktion einen Blick in die Räumlichkeiten werfen — in eine schmucklose Halle mit vielen Arbeitsstationen für die verschiedenen Lufträume der Schweiz, auf denen Bildschirme, Headsets und Funkgeräte installiert sind. Ein bisschen wie eine Operationszentrale aus einem Actionfilm.
Verantwortung, Nervosität und Stress
Eifrig geht es darin zur Sache, wenn man bedenkt, dass diese Personen für die Leitung des Flugverkehrs verantwortlich sind. Sie bleiben allerdings gelassen — wurden sie schliesslich während ihrer Ausbildung in Konzentration und Stressregulation geschult.
«Die Schwierigkeiten eines Fluglotsen sind nicht zu unterschätzen», so Hasler. Es seien zahlreiche Menschenleben auf dem Spiel, wobei dieser Gedanke einem Lotsen gar nicht immer präsent sein dürfe. Das mache einen nur krank und unfähig für diesen Beruf. «Natürlich ist einem im Unterbewusstsein klar, dass ein kleiner Fehler fatale Auswirkungen hätte. Allerdings muss dieser Gedanke in den Hintergrund geschoben werden», führt er fort. Wenn Hasler mal einen schlechten Tag erwische und unproduktiv vor seinem Schreibtisch sässe, könne er sich das mal erlauben. Ein Fluglotse dürfe einen solchen Aussetzer nicht haben.
Deswegen sind die Arbeitszeiten eines Lotsen rund eine Stunde kürzer als die eines Büroangestellten. Dazu kommen Pausen nach maximal zwei Stunden Arbeitszeit sowie Regenerationsferien, die alle fünf Jahre zwei Wochen zusätzlichen Urlaub erlauben.
Und trotzdem ist die absolute Sicherheit nie gegeben. Der letzte Zwischenfall im deutschsprachigen Raum endete tragisch, als bei einem Zusammenstoss bei Überlingen ein Passagierflugzeug und ein Frachtflugzeug kollidierten und alle Insassen ums Leben kamen. In der Folge erstach ein Ehemann und Vater von drei Verunglückten einen Skyguide-Fluglotsen in Kloten. «Es stimmt, dass man über uns vor allem dann spricht, wenn etwas schiefgeht», so Barrosa.
Spätfolgen von Corona
Skyguide schreibt immer noch rote Zahlen
Herr Barrosa, aus dem Rapport des vergangenen Geschäftsjahres wird ersichtlich, dass Skyguide einen Nettoverlust von 18,9 Millionen Franken zu verzeichnen hat. Wie erklären Sie sich diese roten Zahlen?
Vladi Barrosa: Wir wurden brutal von der Covid-Pandemie erfasst. Wir hatten von einem Tag auf den anderen keine Einnahmen mehr. Skyguide finanziert sich ausschliesslich durch die Gebühren, welche die Airlines zahlen. Wir sind nicht steuerfinanziert. Wenn niemand fliegt, haben wir kein Geld. Allerdings, wenn auch nur ein Flieger abhebt, müssen wir sicherstellen, dass der Funk funktioniert, der Radar funktioniert, die Navigationsanlagen funktionieren — das heisst: Wir haben einen Aufwand, den wir so oder so betreiben müssen, egal ob einer oder hundert Flieger unterwegs sind. Zudem mussten wir viel in die Robustheit und Stabilität unserer Flugsicherungssysteme investieren, was nicht vorgesehen war.
Skyguide ist im Besitz der Schweizer Eidgenossenschaft. Inwiefern ist das eine finanzielle Herausforderung?
V. B.: Der Bund ist laut dem Luftfahrtgesetz dazu verpflichtet, uns genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Entsprechend haben wir ein Darlehen von 250 Millionen Franken erhalten, das wir fortan begleichen müssen. Das reisst natürlich ein Loch in die Kasse.
Wie möchten Sie dieser wirtschaftlichen Entwicklung entgegenwirken?
V. B.: Zunächst wollen wir im nächsten Jahr die schwarze Null schreiben. Dafür mussten wir einen schwierigen Schritt tätigen: Wir erhöhten die Gebühren der Airlines für die nächsten fünf Jahre. Im Transitbereich müssen sie 38 Prozent mehr zahlen, und bei Landungen sind wir um 24 Prozent hochgegangen. Das hat die Fluggesellschaften verärgert.
Wie Sie am Anfang erwähnten, läuft der Schweizer Flugverkehr ohne Skyguide nicht. Können Sie demnach mit Ihren Preisen machen, was Sie wollen?
V. B.: Das machen wir natürlich nicht. Wir müssen unsere Erhöhungen der Gebühren bei der Europäischen Kommission einreichen. Zurzeit werden unsere letzten Anpassungen bewertet. Zwar ist die Schweiz kein EU-Mitglied, allerdings übernehmen wir durch bilaterale Verträge europäisches Luftfahrtrecht. Wenn Brüssel mit dieser Erhöhung nicht einverstanden wäre, dann müssten wir nochmals über die Bücher und das Problem anders lösen.
Interview: Damjan Bardak
Über Skyguide
Skyguide ist eine privatrechtliche Aktiengesellschaft im Besitz des Bundes, die 1922 als Marconi Radio AG gegründet und im Jahr 2001 in Skyguide umbenannt wurde. Das Unternehmen ist verantwortlich für die zivile und militärische Flugsicherung im Schweizer Luftraum sowie in gewissen Teilen der angrenzenden Länder.
Im vergangenen Jahr koordinierte Skyguide insgesamt rund 1,8 Millionen Flug- und Flughafenbewegungen und verzeichnete einen Verlust von 18,9 Millionen Franken. Das Unternehmen mit Hauptsitz und Kontrollzentrum in Genf sowie einem weiteren Kontrollzentrum in Wangen bei Dübendorf beschäftigt zu zwei Dritteln der Angestellten Flugverkehrsleiter und zu einem Viertel technisches Personal.
Zudem bietet Skyguide eine Ausbildung zum lizenzierten Flugverkehrsleiter sowie Lehrstellen in verschiedenen Bereichen an.
Die grossen Airports Zürich (Bild) und Genf sind bei den Fluglotsen beliebte Arbeitsorte. Doch auch kleinere Flugplätze wie Grenchen und Altenrhein brauche ausgebildetes Personal. Bilder Skyguide
Für die Flugsicherung ist viel teures Equipment notwendig – egal, ob viel oder wenig fliegt.