Schluck die Kälte weg
Ungefähr gleichzeitig mit dem Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung beginnt in Zürich der Glühwein zu strömen. Von den einen wird er als zuckriger Fusel verdammt, von den anderen als Magen- und Handwärmer geschätzt. Zeit für eine Verkostung dieses würzigen Adventsbegleiters.
Das wohl beliebteste Vorurteil von Glühweinverächtern lautet: Da handelt es sich bestimmt um Fusel. Bei so viel Zucker und Gewürzen merkt man doch eh nicht mehr, was man trinkt. Handkehrum lässt sich sagen: Soll man denn einen guten und teuren Wein auf diese Weise verfälschen? Wie man auf Wikipedia lesen kann, wurde der in der Antike oft saure Wein gerne mit Honig und Gewürzen versetzt, um ihn angenehmer zu machen. Allerdings wurde er kalt getrunken, während heute ein heisses Gemisch die Kehlen hinunterrinnt, mit Vorliebe denjenigen Leuten, die sich auf Weihnachtsmärkten den Magen und die Finger wärmen möchten.
Kulturimport aus Deutschland
Beim Stichwort Weihnachtsmarkt sind wir bei einem Verdacht, den kulturhistorische Recherchen vermutlich erhärten könnten: Glühweintrinken ist primär eine deutsche Tradition. Vor Jahrzehnten mag sich ein Schweizer beim Weihnachtsshopping in Konstanz oder sonst wo noch verwundert gefragt haben, wieso es sich Deutsche antun, an einem kalten Adventsnachmittag draussen an einem Budentresen zu stehen und solch eine Zuckerbrühe zu trinken. Heute ist das auch hierzulande gang und gäbe. Vielleicht liegt das einfach daran, dass wir so viele Einwanderer aus Deutschland haben. Immerhin leben über 30 000 Deutsche in Zürich. Da kommt so mancher Glühweinstand in Schwung.
Mehr als nur Lebkuchengewürz
Übrigens ist ein deutsches Unternehmen Weltmarktführer bei industriell hergestelltem Glühwein. Da solcher Industriewein tatsächlich oft aus minderwertigen Massenweinen hergestellt und stark gezuckert wird, sollte man bei zu süssem Glühwein wohl eher misstrauisch sein. Und ausserdem will man bei den Gewürzen –traditionell aus dem Lebkuchenbereich – ein bisschen Abwechslung haben; man freut sich über individuelle Ausprägungen «nach Art des Hauses».
Drei Redaktoren dieser Zeitung haben sich ein bisschen in Zürich umgeschmeckt. Eine solide gastronomische Einschätzung ist von ihnen aber nicht zu erwarten, denn wer ist schon Glühweinkenner. Aber man kann ja schliesslich auch freundlich nachfragen, nach welchem Rezept der jeweilige Trunk gebraut ist. Das Ambiente kann man auch beurteilen. Und die Preise vergleichen. Und am Schluss einen Kopfwehtest machen.
Schweizergasse 8 «Baryton Cocktail Lounge»
«Haus»gemachter Glühwein!! – was die Anführungszeichen wohl bedeuten mögen? Die etwas rätselhafte Affiche an der Baryton Cocktail Lounge gleich gegenüber dem Globus lockt uns hinein. Man fühlt sich schnell wohl, was nicht zuletzt am kommunikativen Inhaber Willy Boos liegt (auf dem Bild rechts im Hintergrund). Also, wieso «haus»gemacht? Boos setzt den Glühwein tatsächlich zu Hause an, wie er erzählt. Da habe er mehr Ruhe. Die Weinbasis sei Primitivo in Flaschenqualität. Dazu ein Schuss bayerischer «Hirschkuss»-Likör. Und Honig sowie die traditionellen Gewürze. Das Resultat: ein massvoll süsser, ausgewogen gewürzter Wintertrunk. Im Preis von 9.50 Franken ist unprätentiöse Gemütlichkeit inbegriffen. (toh.) Bilder Tobias Hoffmann
Kalanderplatz 1 Glühwein im Sihlcity
Im Sommer wurde aus dem Kalanderplatz beim Einkaufszentrum Sihlcity eine Fussball-EM-Oase – inklusive dreistöckigem Baumhaus. Für die Adventszeit hat man die Holzkonstruktion umfunktioniert. Wer während des Shoppens eine Pause braucht, ist beim Glühweinstand am richtigen Ort. Der rote Glühwein mit Amaretto kostet 6.50 Franken. Wer lieber was anderes trinkt, dem empfehlen Vicky Pühringer (links) und Kim Nievergelt den hausgemachten Orangenpunsch für 5 Franken. (pat.) Bild Pascal Turin
Pestalozziwiese Unaufgeregt-unabhängig
Heuer ist der Globus eingepackt mit gefühlt einer Million Lichtlein. Daneben steht ein herziges Glühwein-Hüüsli. Die fröhliche Crew betont, dass sie rein gar nichts mit dem Globus zu tun habe und auf eigene Rechnung wirte. Der selbst gemachte Glühwein besticht durch ausgewogenes Aroma und kostet nur 6 Franken. Einzig der Becher ist ein wenig gar neutral. (ls.) Bild Lorenz Steinmann
Flughafen Eine schöne Überraschung
Das Weihnachtsdorf im «Circle» ist durchgestylt. Alles ist in Weiss-Beige gehalten, und ein Regendach gibt es auch. Der vom Velogast georderte alkoholfreie Glühwein ist klaglos fein, wärmt und wird in einem überraschend stilvollen Becher gereicht. Er kostet nur 6 Franken. (ls.) Bild Lorenz Steinmann
Hohlstrasse 430 Auf einen Glühwein ins «Nüni»
Das Trendlokal Nüni mit seiner griechisch-mediterranen Küche auf dem ehemaligen SBB-Werkstätten-Areal in Altstetten ist nicht die typische Adresse für Glühwein-Fans. Doch der Wintertrunk für 7 Franken ist beliebt, wie Angelika Kacanaj vom «Nüni»-Team erzählt. Wenn das Wetter mitspielt, kann man draussen bei den Feuerschalen Platz nehmen und den Trubel der Stadt um sich herum vergessen. (pat.) Bilder Pascal Turin