«Russland will Europa spalten und destabilisieren»

Lorenz Steinmann

Armeechef Thomas Süssli machte in der Kaserne Kloten vergangene Woche eine Auslegeordnung über die aktuellen militärischen Gefahren für die Schweiz. Laut Süssli wird das Jahr 2028 zum internationalen Härtetest.

«Die heutige militärische Bedrohung ist grösser als während des Kalten Krieges», betonte Armeechef Thomas Süssli in der Kaserne Kloten. Kalter Krieg, das war die Zeit von 1947 bis 1989 mit dem Konflikt zwischen den Westmächten unter Führung der USA und dem sogenannten Ostblock unter Führung der Sowjetunion. Es war eine Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Doch verglichen mit heute scheinen diese Zeiten fast schon beschaulich, zumindest aber friedlich.

Anlass der Süssli-Einschätzung war eine Einladung des Netzwerks Flughafenregion Zürich (FRZ). Der 58-jährige Armeechef sprach am Donnerstag vergangenener Woche vor über 200 Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern. Durchaus ein Heimspiel also für Süssli, der seit 2020 und noch bis Ende 2025 als Korpskommandant Chef der Armee ist. Als «Lame Duck», als «lahme Ente», da er seinen Abgang schon kommuniziert hatte, kam Süssli aber keineswegs rüber. Im Gegenteil. Der gebürtige Küsnachter vermochte bei seinem Vortrag durchaus zu überzeugen. Durch Analysen, persönliche Bonmots und durch Szenarien für die Zukunft.

Donald Trump und die Nato

Zentrale Themen Süsslis waren natürlich der blutige Ukrainekrieg, der unberechenbare amerikanische Präsident Donald Trump (Stichwort: Verteidigungsbündnis Nato), aber auch das prosperierende China als Welt-Grossmacht.

«Am 24. Februar 2022 erfolgte ein völkerrechtswidriger Angriff Russlands auf die Ukraine», stellte Süssli fest. Das bedeute eine Zeitenwende und die Welt werde nicht mehr so sein wie bisher. Denn: «Russland will Europa spalten und destabilisieren. Und sein eigenes Einflussgebiet ausdehnen.» Dazu gehöre neben dem Angriffskrieg in der Ukraine Desinformation etwa via dem Sender Russia Today (RT) und die Beeinflussung sozialer Medien, Cyberangriffe im Westen, aber auch handfeste Sabotage. «Dazu gibt es 60 dokumentierte Fälle wie etwa Paketbomben», erklärte Süssli. Allein in der Schweiz lebten 80 Russen, die hier Infos über die Schweiz beschaffen. Dabei gelte für Russland das folgende Szenario: US-Präsident Donald Trump verliert die Geduld und unterstützt Europa nicht mehr, Russland gewinnt den Krieg, 5 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer flüchten in den Westen und sorgen für Chaos. Dabei komme dem russischen Machthaber Wladimir Putin zugute, dass der Westen immer noch von russischer Energie abhängig sei in Form von Flüssiggas. «Das kann er jederzeit abstellen», ist Süssli überzeugt.

«Heroische Expo 1964»

Nun zog Süssli den Bogen zur Landesausstellung im Jahr 1964, der Expo in Lausanne. Es sei eine heroische Ausstellung gewesen, mit dem Ziel, im Ausland militärisch stark zu wirken. Er nannte dazu das in Zeiten des Kalten Krieges berühmt-berüchtigte Wort «Dissuasion», gleichbedeutend mit Abschreckung. Und genau diese Haltung müsse wieder Realität werden. «Doch jetzt ist die Armee ganz unten», so Süssli. Aktuell könnte nur ein Drittel der Soldaten im Ernstfall mit zeitgemässen Waffen und Equipment ausgerüstet werden. «Man hat die letzten 20 Jahre viel zu sehr gespart», zieht Süssli ein zumindest aus Armee-Sicht düsteres Fazit.

40 Milliarden Franken würde allein die Ausrüstung kosten und dauere bis 2050. «Das kann nicht aufgehen», warnte der Armeechef. Denn laut Experten werde 2028 weltweit das gefährlichste Jahr. «Wir brauchen darum die amerikanischen Flugzeuge des Typs F-35A dringend», lautet Süsslis Forderung. Dieses Flugzeug sei für die momentane riesige technische Revolution gewappnet und werde zudem von anderen Staaten wie Italien und den Niederlanden ebenfalls geordert. Stichwort Kooperationen. Das Thema «Kampfjets» war dann auch bei der Fragerunde ein Punkt. Süssli verteidigte den höheren Kaufpreis. Allein die Teuerung mache 700 Millionen aus. Süssli selber habe die Verträge aber nie gesehen, was für Raunen im Saal sorgte.

Krieg ist schlecht für Wirtschaft

Zurück zur Weltpolitik. Süssli attestierte dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump eine gewisse Weitsicht. Denn dieser wisse, dass Krieg schlecht sei für die Wirtschaft. Was für Süssli aber ein weiterer Knackpunkt ist: «Die Folgen der Erderwärmung nehmen zu. Es wird schwierig!» Der Armeechef ist immerhin überzeugt, «dass sich die Schweizer Politikerinnen und Politiker bewusst sind, dass sich die Lage verändert hat, auch die SP». Der Grundkonsens sei seit dem Ukrainekrieg vorhanden. Nur wisse man nicht, wie vorgehen. «Die SVP will sparen bei der internationalen Zusammenarbeit, die FDP pocht auf die Schuldenbremse, die Mitte möchte diese lockern und die SP will nur mitmachen, wenn es einen Sozial-Fonds für die Ukrainehilfe gibt.» Nun wurde Süssli persönlich und ehrlich: «Manchmal habe ich Angst, dass etwas passieren muss, bis es in der Politik Klick macht.» Er warnte davor, zuzuwarten. «Wer früher Waffen bestellt, ist eher dran. Zudem werden etwa Artilleriegranaten immer teurer», so der ehemalige Investmentbanker.

Kurz ging Süssli noch auf China ein. Das Reich der Mitte wolle eine Supermacht sein, respektiere aber durchaus staatliche Souveränitäten. Trotzdem drohe Taiwan wohl ein ähnliches Schicksal wie Hongkong, das seit 1997 unter der Kontrolle Chinas steht. Süssli wagt die Prognose, dass China bis 2027 eine militärische Lösung in Taiwan suche. So macht auch die genannte Jahreszahl 2028 Sinn, die laut Süssli als internationaler Härtetest gilt. Sprich: Dann ist laut Sicherheitsexperten die Gefahr am grössten, dass es weitere kriegerische Auseinandersetzungen gibt.

«Esten haben Angst»

Apropos möglichem Einmarsch in Taiwan: Die Staaten Estland und Litauen hätten lebhafte Erinnerungen an die Besetzung durch die damalige UdSSR. «Die Menschen im Baltikum haben Angst», weiss Süssli. Bei einem Glas Wein mit den militärischen Führungen der Länder am Simplon betonten diese Süssli gegenüber: «Wenn ihr Rauch seht, sehen wir Feuer.» Gerade bei den Esten sei der Wille gross, sich nicht nochmals durch Russland besetzen zu lassen. Dabei habe Europa für die USA an Bedeutung verloren. «Die USA haben zwar ein Jahresmilitärbudget von 1000 Milliarden Dollar, doch alles werde gerechtfertigt mit Chinas Expansionsgelüsten.» Süssli betonte zudem, dass Europa in den letzten Jahrzehnten nicht alles richtig gemacht und sich zu sehr auf die USA verlassen habe. Doch klar sei, dass momentan die meisten Nato-Staaten am gleichen Strick ziehen. 

Kritische Publikumsfragen

Aus dem Publikum kam nun die Frage, wie desolat die russische Armee tatsächlich sei. Für Süssli ist klar, dass die russische Waffenproduktion, etwa Drohnen und Panzer, enorm zugenommen habe. So würden aktuell 1500 (!) Panzer pro Jahr produziert. Und das Reservoir an Truppen sei gross, obwohl bei den Bodentruppen bisher eine Million Soldaten gestorben, vermisst oder verwundet seien.

Zum Thema Neutralität verglich Süssli diese mit der Ehe: «Es ist ein Geben und Nehmen.» Internationale Kooperationen seien unabdingbar, so müssten Systeme und Geräte miteinander kommunizieren können (Stichwort: Interoperabilität).

Zu seinem Rücktritt auf Ende 2025  sagte Süssli, die Amtsdauer als Armeechef sei international bedeutend kürzer, also zwei bis drei Jahre. Mit der damaligen Bundesrätin Viola Amherd (Mitte-Partei) habe er fünf Jahre vereinbart. Jetzt gehe es halt ein wenig länger. Aber: «Ich bin nicht resigniert», so Süssli in seinen eloquenten Ausführungen. Und noch ein Schmankerl zum Schluss: Der Schweizer Geheimdienstchef Christian Dussey traf sich im Februar mit Süssli zum Austausch. Beide wussten laut Süssli nicht, dass das Gegenüber kündigen würde. Sie erfuhren es später jeweils über die Öffentlichkeit. Fazit: Auch ganz oben menschelt es.

Süsslis Notvorrat

Was jeder selber tun könne in diesen unruhigen Zeiten, wurde Thomas Süssli vom Publikum gefragt. «Wachsam sein, sich nicht allein auf den Staat verlassen, Notvorrat anlegen, inklusive Gaskocher und Trinkwasser», so sein Rat. Er sei selber sicher kein Prepper, also eine Person, die sich aktiv auf Katastrophen vorbereite, aber sicher sei sicher. (ls.)  


Divisionär Brülisauer zur militärischen Bedeutung des Flughafens früher und heute. 
Sicherheitspolitikerin Priska Seiler-Graf zur Flugzeugbeschaffung und der Suche nach dem Geld dafür. 
 

Gwunderbrunnen

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