Runder Geburtstag der Shopping-Ikone

Claudia Rothlin

Am vergangenen Donnerstag jährte sich die Eröffnung des Einkaufszentrums Glatt zum 50. Mal. Das runde Jubiläum geht bisher aber fast unter. Dabei könnte das Shopping-Eldorado so manche interessante Geschichte aus dem letzten halben Jahrhundert erzählen.

Laut Medienmitteilung des Glattzentrums soll der runde Geburtstag gebührend mit Beleg- und Kundschaft gefeiert werden. So sollen die gut 2000 Angestellten für 50 Franken Glatttaler erhalten, die Kundinnen und Kunden können seit letzter Woche bei einem Online-Wettbewerb mitmachen, bei dem bis zum 2. März täglich Glatttaler im Gesamtwert von 50 000 Franken verlost werden. Ausserdem verkehrt ein mit Goldfolie verkleidetes Tram auf den Linien 10 und 12 durch die Zürcher Innenstadt und bis vors Glattzentrum und zum Flughafen.

Keine Feierlaune?

Wer sich zum 50. Geburtstag ins Glatt begibt, wird dort nur spärlich Hinweise aufs Jubiläum finden: goldene Konfetti und ein Riesentaler in der Hauptmall, «Glatt» ist darauf ganz gross geschrieben, jedoch «50 Jahre» nur verstohlen daneben, kaum sichtbar. Überall ist der QR-Code für den Wettbewerb zu sehen: Er führt zu einem Jump-ʼnʼ-Run-Spiel, das nur auf dem Smartphone spielbar ist. Wozu, ist man geneigt, sich zu fragen, soll man vor Ort gehen, wenn das Jubiläum lediglich im virtuellen Raum des Internets stattfindet? Schliesslich kann man das Spiel auch sonst wo spielen – sogar während des Einkaufs bei der Konkurrenz.

Ein fahler Abklatsch im Vergleich zu früher. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Glattzentrum zur Feier seines Geburtstags nämlich jeweils dick aufgetragen: Die Angestellten feierten in der Mall rauschende Feste, die Kundschaft profitierte von speziellen Shoppingfestivals oder Freinächten, Sonderaktionen mit Rabatten, und Geburtstagskinder konnten sich sogar beim Vorweisen der ID ein Geschenk abholen. Es gab immer wieder verschiedene Ausstellungen oder Publikationen, die unter anderem auch die Geschichte des Glattzentrums nachzeichneten.

Kind seiner Zeit

Und diese Geschichte ist durchaus interessant. Die Wurzeln reichen nämlich bis 1960 zurück, als sich mit Migros, Globus und Jelmoli eigentliche Konkurrenten zusammenfanden, um in der Peripherie von Zürich ein Begegnungs- und Einkaufszentrum zu entwickeln – das «Centre Glatt». Zunächst war Urdorf als Standort für das erste Shopping-Center der Schweiz auserkoren worden.

Eine Schwamendinger Baufirma, welche durchaus Erfahrung mit Grossprojekten hatte, die Noldin Immobilien AG von Max Noldin, hatte aber im Gebiet Schwanen in Wallisellen Land zusammengekauft und brachte es als möglichen Standort zur Diskussion. Optimal, zumal auch die Nationalstrasse in diesem Korridor geplant war. Zwei Jahre später wurde die Arbeitsgemeinschaft Einkaufszentrum Glatt ins Handelsregister eingetragen, und das betriebs­eigene Architekturbüro der Noldin Immobilien AG wurde mit der Ausarbeitung der ersten Pläne beauftragt: Heinz Wöhning, mit seinem Vorschlag Sieger unter den drei Architekten, sollte sein Projekt weiter ausarbeiten.

Im gleichen Jahr wurde die erste Baueingabe gemacht und gleich wieder zurückgezogen: Der Bau mit eiförmigem Grundriss und einem Hotelturm mit Drehrestaurant war den Bauherren schon zu klein. Die gleichzeitig laufende Planung der Nationalstrasse hatte auch ihren Einfluss, weil die Zu- und die Wegfahrten noch nicht festgelegt waren. Auch überarbeitete vergrösserte Varianten für das Glattzentrum 1963 und 1964 stellten noch nicht zufrieden, und als sich 1964 die Bauherren und Max Noldin zerstritten, stieg Letzterer aus.

Schliesslich übernahm 1964 – nach anderen Quellen 1968 – der Wiener Stadtforscher Victor Gruen, der in den USA seit Ende der 50er-Jahre Shopping-Malls entwickelt und gebaut hatte, die Projektierung. Er legte einen Plan vor, der grosso modo dem heutigen Bau entspricht. Seiner Vision nach sollten Einkaufszentren aber Begegnungszentren sein, Alternativen zu den verstopften Innenstädten und auch Säle, Theater, ­Kinos, Bibliotheken oder Sportanlagen beherbergen. So wollte er maximal die Hälfte der Flächen für den Verkauf ausweisen – weswegen er sich ebenfalls mit der Bauherrschaft zerstritt.

Der Aushub war 1972 bereits erfolgt, als Architekt Ernst Schwarzenbach übernahm und die Pläne mit ein paar Änderungen umsetzte: So wurde zum Beispiel ein zweiter Büroturm weggelassen.

Hatte es bisher jahrelange Verzögerungen gegeben, schritt der Bau nun zügig voran und konnte mehrere Monate früher als geplant fertiggestellt werden. Allerdings war das Glattzentrum nun nicht mehr das erste seiner Art: Im luzernischen Schönbühl gab es seit 1967 ­eines, und ein halbes Dutzend andere Shopping-Center waren schon eröffnet – unter anderem Spreitenbach und das Seedamm-Center –, als nach 32 Monaten Bauzeit am 13. Februar 1975 auch das Glattzentrum eröffnet wurde.

Ein K(r)ampf auch für Wallisellen

Für die Agglomerationsgemeinde stellte das Glatt Herausforderung und Wendepunkt dar. Wallisellen hatte im Jahr 1966 erstmals die Zehntausend-Einwohner-Grenze überschritten und wandelte sich nun unwiederbringlich vom Bauerndorf in Richtung Vorstadt.

Die Baubewilligung wurde 1971 erteilt – die Eingabe betrug ganze 102 dicht beschriebene Seiten, wie der damalige Gemeindepräsident Paul Remund bei der Eröffnungsfeier herausstrich. An jenem Donnerstag, dem 13. Februar 1975, strömten die Massen begeistert herbei: Im Vorfeld war man einem grossen Einkaufszentrum «auf der grünen Wiese» noch kritisch gegenübergestanden, ja es gab sogar Bombendrohungen.

Aber auch über die Eröffnung hinaus beschäftigte das neue Einkaufszentrum die Einheimischen immer wieder: So musste der Souverän im Sommer 1975 über die längeren Ladenöffnungszeiten im Glatt befinden. Infolge des Rekordaufmarsches, 861 Stimmberechtigte, wird die Gemeindeversammlung im Festzelt des gleichzeitig stattfindenden Walliseller Fäschts abgehalten. Nach reger Diskussion und mit nur wenigen Gegenstimmen kommt die Vorlage durch, und das Glatt kann bis 20 Uhr, freitags sogar bis 21 Uhr, offen haben – damals neu und einzigartig in der Schweiz.

Die neue, nahe Konkurrenz bescherte dem lokalen Gewerbe ständige Kopfschmerzen. Die Walliseller Bahnhofstrasse, die ursprüngliche Einkaufsmeile, verliert ihr lebendiges Gesicht. Dieses «Lädelisterben» setzt sich bis ins neue Jahrtausend hinein fort. Das Glattzentrum ist für Wallisellen Fluch und wegen der vielen Arbeitsplätze sowie des regelmässigen Sponsorings von lokalen Anlässen Segen zugleich.

Im Wandel der Zeit

In den Folgejahren etabliert sich das Glatt als Treffpunkt verschiedenster Art: Neben Einkaufsmöglichkeiten in Dutzenden Geschäften gibt es, ganz im Geiste von Victor Gruen, auch Restaurants und Bars, die Müsliburg und Ruhezonen. Regelmässige Modeschauen und Ausstellungen zu den Themen Design, Garten, Pasta, Textilien, Flughafen etc. ziehen immer mehr Gäste an. Fast jedes Jahr kann das Glatt einen neuen Besucherrekord vermelden. So auch im letzten Jahr mit 9,5 Millionen Personen.

Im Jahr 1983/84 wird das Glattzentrum erstmals umgebaut: Der Bürotrakt im Osten und das für die Besucherinnen und Besucher kostenfreie Parking werden erweitert. Von 1992 bis 1994 bekommt es vom Zürcher Architekten Andreas Ramseier ein grosses Facelifting: Das Dach wird geöffnet, sodass nun Tageslicht in die Einkaufsebenen fällt, der Klinkerboden und die wuchtig wirkenden Brüstungen machen einem moderneren Erscheinungsbild Platz, das bis heute Bestand hat.

Als 1996 Globus Jelmoli übernimmt, gibt es eine Rochade: Globus zügelt in den frei gewordenen Teil im Osttrakt, die Westmall wird geöffnet und erweitert, was Platz für 17 neue Geschäfte schafft. Damit veränderten sich auch die Eigentumsverhältnisse: Die Migros hält zunächst eine Zweidrittelmehrheit und ist ab 2007 zu 100 Prozent Eignerin des Glattzentrums, bis sie die Immobilie 2020 an die Swiss Life verkauft.

Beim Bau des Richti-Quartiers – zwischen dem Glatt und dem Bahnhof Wallisellen gelegen – ab 2010 musste die Passerelle über die Strasse weichen: Der Haupteingang wurde von der mittleren in die untere Verkaufsebene verlegt, die Müsliburg, der Kinderhütedienst für kleine Glatt-Gäste, musste entsprechend weichen und zügeln. Mit dem Allianz-Tower erhielt der Glatt-Tower vis-à-vis einen Zwilling in der Walliseller Skyline.

Bis 2001, als in Spreitenbach zwei benachbarte Einkaufszentren fusionierten, ist das Glattzentrum das grösste Einkaufszentrum der Schweiz, seither gilt es als das umsatzstärkste. Vielleicht wird deshalb auf eine angemessene Feier verzichtet: weil es das einfach nicht nötig hat.

Gwunderbrunnen

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