Manche Mütter würden sich heute gegen eine Familien entscheiden
Es ist noch immer ein Tabu – nicht alle Mütter sind automatisch glückliche Mütter. Sie lieben ihre Kinder trotzdem und würden sie nicht wieder hergeben, aber wenn sie nochmals wählen könnten, würden sie sich gegen das Kind entscheiden und eine andere Lebensform vorziehen. Dieses heikle Thema kann auch die Beziehung der Eltern belasten. Die Paarberaterin gibt Auskunft.
Welche emotionalen und psychischen Belastungen sind mit der Mutterschaft verbunden, die oft nicht offen diskutiert werden?
Eltern werden wird als «Life event» bezeichnet, eine fundamentale Umwälzung im Leben. Solche tiefgreifenden Übergänge sind grundsätzlich krisenanfällig. Eine Familie gründen bedeutet auch eine Transformation der Partnerschaft. Die Mütter sind herausgefordert, in kurzer Zeit grosse Anpassungen zu leisten. Die Mutterschaft beginnt nicht erst, wenn das Kind auf der Welt ist, sondern schon in den neun Monaten davor. Es wird ihr zur Schwangerschaft gratuliert und selbstverständlich davon ausgegangen, dass es ein freudiges Ereignis ist. Die Zweifel, Befürchtungen und Ängste, welche die werdende Mutter nebst der Freude vielleicht auch verspürt, haben keinen Platz in der kollektiven positiven Sichtweise. Der Körper verändert sich, hormonelle Umstellung, das Baby nimmt Platz im Körper der Frau ein, dies hat auch Auswirkung auf die psychische Verfassung. Je nachdem, wie die Schwangerschaft verläuft, kann das belastend sein. Zudem sind die Erwartungen der Gesellschaft an die werdende Mutter hoch. Sie steht unter Beobachtung, ihren Körper stellt sie jetzt dem Baby zur Verfügung, sie soll sich gut schauen und möglichst noch die Zeit bis zur Geburt geniessen und alles machen, was man danach nicht mehr machen kann. Mit den medizinischen Möglichkeiten kommt die bange Frage auf, ob alles in Ordnung ist mit dem Baby und ist das Kind dann wirklich so, wie man es sich vorgestellt hat, oder wird man enttäuscht?
Warum fällt es vielen Müttern schwer, ihre wahren Gefühle und Sorgen über das Muttersein zu teilen?
Da in unserer Gesellschaft das Muttersein durch die rosa Brille betrachtet wird und davon ausgegangen wird, dass alle Mütter ihre Kinder vom ersten Moment an uneingeschränkt lieben, ist es mit Scham verbunden, wenn man das selbst nicht so erlebt. Manche Mütter werden von Versagensgefühlen geplagt, welche sie nicht trauen zu äussern. Man schämt sich für seine Gefühle und behält diese für sich. Man befürchtet Verurteilung und Ausgrenzung. Es gibt Mütter, welche sagen würden, dass sie ihre Kinder sehr lieben und sie auf keinen Fall mehr hergeben würden. Und trotzdem, wenn sie nochmals vor der Entscheidung für oder gegen Familie gründen stehen würden, dann würden sie es vielleicht nicht mehr machen, da die Einschränkungen für sie zu gross sind.
Wie können Mütter lernen, ihre Ängste und Sorgen offen anzusprechen, ohne Angst vor Verurteilung zu haben?
Es ist ein gesellschaftlicher Prozess, der nicht nur die Mütter betrifft, auch die Väter und die Menschen, welche nicht Eltern sind. Der Anspruch, das Leben zu optimieren, ist gewachsen und die Anforderungen sind komplexer. Kinder in die Welt setzen und erziehen ist ein Projekt mit grossem Optimierungspotential geworden. Je mehr Menschen den Mut haben, diese Optimierung kritisch zu beurteilen, Fragen zu stellen, Ängste zu benennen, desto normaler wird dies.
«Die Zweifel einer werdenden Mutter haben keinen Platz in der kollektiven positiven Sichtweise.»
Inwieweit tragen gesellschaftliche Erwartungen zur Belastung von Müttern bei?
Eine gute Mutter und Partnerin sein, die Erziehung bestens bewältigen, im Job erfolgreich sein, Freundschaften pflegen und Sport treiben, das alles soll Platz haben in 7x24 Stunden. Dies löst viel Stress aus. Dazu kommt, dass die Mütter selbst auch sehr hohe Ansprüche an sich selber haben und sich damit unter Druck setzen. Die Gesellschaft stellt die Anforderung, dass Kinder möglichst nicht stören sollen, damit die Frauen im Job und Care-Arbeit reibungslos weiterfunktionieren können.
Wie können Mütter mit dem Druck umgehen, den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden?
Indem sie gut prüfen, welchen Erwartungen sie genügen wollen und welchen nicht. Wie gestalte ich den Kindergeburtstag? Muss ich im Job wirklich mehr leisten als die Väter im Team, einfach, um zu zeigen, dass ich es trotz Muttersein schaffe? Was kann ich dem Vater überlassen und damit auch die Verantwortung abgeben?
Welche Strategien empfehlen Sie Müttern, um mit den täglichen Belastungen des Mutterseins umzugehen?
Die Erwartungen an sich selber runterschrauben. Die Regel, dass 80% gut genug ist und die letzten 20% bis zur Perfektion zwar viel Aufwand, aber nicht mehr viel Nutzen bringen, ist vielleicht hilfreich. Sich getrauen, nein zu sagen. Den Vater des Kindes, Partner einbeziehen, ebenso wie Grosseltern, Gotte und Götti oder andere freundliche Menschen im sozialen Umfeld. Unterstützung einfordern und annehmen, Kontrolle abgeben. Sich kleine Inseln im Tag einbauen, auch wenn es nur fünf Minuten sind. Paarzeit einbauen, wenn irgend möglich, auch wenn es nur zwei Stunden sind – und dann an diese zwei Stunden keine allzu grossen Erwartungen knüpfen. Weniger ist mehr und es kommt eine Zeit, wenn die Kinder grösser sind und wieder mehr Freiraum da ist. Aber wenn man sich als Paar ganz aus den Augen verliert vor lauter Kinderbetreuung und Stress, kann das zu einem Scherbenhaufen führen.
Wie wichtig ist Selbstfürsorge für Mütter und wie kann sie in den Alltag integriert werden?
Selbstfürsorge ist zentral. Wenn es der Mutter emotional gut geht, ist das für die Kinder wertvoll und sie ist ein gutes Vorbild, dass für sich selbst Verantwortung übernimmt. Wie genau die Selbstfürsorge aussieht, ist individuell. Manche schauen eine Serie auf Netflix, andere gehen joggen, manche quatschen mit einer Freundin oder räumen eine Schublade auf oder machen gar nichts. Genau so wichtig ist, dass man die Zeit mit den Kindern selbstfürsorglich gestaltet. Vielleicht gibts zum Zmittag mal ein Stück Pizza vom Takeaway statt frisches Gemüse… oder ich kaufe den Geburtstagskuchen für den Kindsgi anstatt dass ich ihn in Nachtschicht noch selber backe Ich stelle mir in solchen Situationen jeweils die Frage, was das Schlimmste wäre, was passieren könnte wenn ich dies oder jenes nicht oder in einer light Version tue. Erstaunlicherweise ist Antwort häufig: Nichts.
Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon