Jetzt wird es dunkler
Gute Bücher für die «kuscheligen» Tage, an denen es kälter wird: Bibliothekarin Ilka Allenspach aus Küsnacht hat einmal mehr einen Koffer voller Bücher mit dabei – Leseplausch, passend für die Herbstferien.
Der Herbst weckt in uns widersprüchliche Gefühle. Einerseits staunen wir über die bunten und leuchtenden Farben der Natur, bewundern die reiche Ernte, geniessen Spaziergänge an der frischen Luft oder Oktoberfeste. Andererseits spüren wir die Vergänglichkeit und eine gewisse Melancholie.
Doch wenn die Tage dunkler und kürzer werden, ziehen wir uns auch gerne mit einer Decke und einem warmen Getränk kuschelig zurück. Und so richtig gemütlich wird es mit einem «guten» Buch.
Dunkle Herbstabende
Nora, Henrik und ihr fünfjähriger Sohn Fynn hoffen auf entspannte Ferien in einem Ferienhäuschen in Nordschweden. Die frisch geerbte Hütte liegt malerisch zwischen See und Wald. Was auf den ersten Blick wie das heile «Bullerbü» aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern aussieht, wird zur Bedrohung, als Henrik ein verfallenes Baumhaus entdeckt. Dunkle Erinnerungen werden wach. Und als in der Nähe ein Kinderskelett gefunden wird und dann auch noch sein Sohn verschwindet, beginnt der wahre Horror.
Das Baumhhaus. Vera Buck. Thriller. Rowohlt, Taschenbuch Verlag, 2024.
Lieber laufen statt Reha
Herbstzeit ist Wanderzeit. Doch was Sylvain Tesson, Autor des Bestsellers «Der Schneeleopard», unternommen hat, ist weit mehr als ein Spaziergang. Nach einem Unfall, den er nur knapp überlebte und der seinen Körper in einen «Knochenhaufen» verwandelte, entschied er sich gegen eine Reha und für das Laufen. Noch im Krankenhaus kam ihm die Idee zu einer rund 1300 Kilometer langen Wanderung auf alten Wegen, den «versunkenen Pfaden», von den südlichen Alpen über das französische Zentralmassiv bis zu den Klippen von La Hague. Am 24. August, rund ein Jahr nach seinem Unfall, bricht er auf, am 8. November erreicht er sein Ziel. In Tagebucheinträgen schildert er seine Eindrücke von Land und Leuten, beschreibt unter anderem, wie sich Politik und Globalisierung auf die Landschaft auswirken. Oft stellt er seine Beobachtungen in den Kontext von Literatur und Malerei. Durch seine bildhafte Sprache erleben wir ein unberührtes, ursprüngliches Frankreich und dass man mit starkem Willen und Mut viel erreichen kann. Das Buch wurde 2023 unter dem Titel «Auf dem Weg» verfilmt.
Sylvain Tesson: Auf versunkenen Wegen. Penguin Taschenbuch, 2023
Mit dem Herbstbeginn ändert sich ihr Leben
Für die drei Männer Jonas, Galel und Paul ist das Jahr zweigeteilt. Mit dem Alpabzug im Herbst beginnt für sie die Arbeit im Tal. Richtig glücklich sind sie aber nur im Sommer in den Bergen. Jonas und Galel sind Bergführer, Paul bewirtschaftet die Baïta-Hütte auf 2000 Metern Höhe am Pass zwischen dem Val du Tresor und dem Val Lesiùn. Ab und zu führt eine ihrer Touren Jonas und Galel zur Baïta-Hütte.
Nach einem langen Tag, wenn sich die Gäste zurückgezogen haben, sitzen die drei Männer zusammen, erzählen, schweigen und geniessen die tiefe Verbundenheit. Doch als Galel eines Tages verändert in die Baïta-Hütte kommt, ist nichts mehr wie zuvor.
«Berghütte» ist ein wunderbar poetischer Roman über Glücksmomente, über Freundschaft in einer rauen Bergwelt, aber auch über das Loslassen und Veränderung.
Die Autorin Fanny Desarzens wurde für ihr Debüt 2023 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
Fanny Desarzens: Berghütte. Atlantis in der Kampa Verlag, 2023.
Erntezeit im Bilderbuch
Im Herbst bereiten sich viele Tiere auf den Winter vor und legen Futtervorräte an. So auch die 14-köpfige Mäusefamilie im Bilderbuch «Familie Maus bei der Ernte». Ausgerüstet mit Schaufeln und Körben, ziehen sie los, um eine Süsskartoffel zu ernten. Doch für die Mäuschen ist das eine grosse Herausforderung, und im Eifer des Grabens fällt ein Mäusekind in ein Loch, kann aber mit Hilfe der ganzen Familie schnell gerettet werden. Die Illustrationen von Kazuo Iwamura sind liebevoll und detailreich und fangen die herbstliche Stimmung gut ein.
Familie Maus bei der Ernte. Kazuo Iwamura und Rose Pflock, NordSüd, 2024.
Ein Buch wie eine warme Decke
Sind die Herbsttage trüb und kalt? Dann ist der Roman «25 letzte Sommer» von Stephan Schäfer genau das Richtige. Der Autor sagt, er wollte ein Buch schreiben, das wie eine warme Decke ist und nach dem Lesen ein gutes Gefühl hinterlässt. In der Geschichte treffen zwei völlig unterschiedliche Männer zufällig aufeinander. Der eine ist gestresst, ausgebrannt, und sein Leben besteht aus einer endlosen To-do-Liste, der andere ist Kartoffelbauer, gelassen und das Leben reflektierend.
Zwischen den beiden entwickeln sich Gespräche über die grossen Fragen des Lebens: Wie gehen wir mit unserer begrenzten Zeit um, wie finden wir das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Zeit für die Menschen, die uns wichtig sind?
«25 letzte Sommer» ist eine warmherzige Erzählung über Verbundenheit und die Momente, die im Leben den Unterschied machen.
Stephan Schäfer: 25 letzte Sommer. park x ullstein, 2024.
Ein Baum erzählt seine Geschichte
Nach der Lektüre von «Buchenleben» von Peter Wohlleben, dem wohl bekanntesten Naturschützer im deutschsprachigen Raum, werden Sie beim nächsten Herbstspaziergang die Buchen genauer betrachten. In seinem neuen Buch erzählt er die Lebensgeschichte einer über 200 Jahre alten Buche aus ihrer Perspektive: von der Kindheit als Sämling bis zur weisen alten Buchenmutter. Obwohl sie immer am selben Ort steht, ist ihr Leben alles andere als langweilig: Sie kommuniziert mit Freundinnen, muss Feinde abwehren und Strategien entwickeln, um sich an Umweltveränderungen anzupassen. Ausserdem sorgt sie sich um ihre Kinder. Und sie muss sich auf den langen Winterschlaf vorbereiten. Peter Wohlleben gelingt es, wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlichen Anekdoten auf unterhaltsame Weise zu verbinden und uns so für die Welt des Waldes zu begeistern.
Peter Wohlleben: Buchenleben. Ein Baum erzählt seine erstaunliche Geschichte. Ludwig, 2024.
Herbst inspiriert
Astern blühen schon im Garten,
schwächer trifft der Sonnenpfeil.
Blumen, die den Trost erwarten
durch des Frostes Henkerbeil.
So lautet die erste Strophe des Gedichts «Herbst» von Detlev von Liliencron, einem bedeutenden deutschen Lyriker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In seinem Gedicht kommt schön die melancholische Stimmung des Herbstes zum Ausdruck. Aber nicht nur er liess sich von dieser Jahreszeit zum Dichten inspirieren. Das Farbenspiel der Natur, die letzte Wärme der Spätsommertage und die Vergänglichkeit der Natur haben viele wunderbare Gedichte hervorgebracht.
Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell (Hrsg.): Herbstgedichte. Reclam, 2019.
Ilka Allenspach, Bibliothekarin Küsnacht
Informationenen: www.bibliotheken-zh.ch/Opfikon