«Es war ein ganz schlechtes Pilzjahr»
Der trockene, warme Frühherbst liess die Pilzsammlerinnen und -sammler mit leeren Körben dastehen. Pilzkontrolleurin Jeannine Bollinger von der Pilzkontrollstelle Kloten, die für 16 Unterländer Gemeinden zuständig ist, wartete oft vergebens auf Arbeit.
Nach vielen Wochen fiel an diesem Oktobertag endlich etwas Regen. Auf dem Tisch im Atrium der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Kloten hat Jeannine Bollinger alles für die Pilzkontrolle vorbereitet: Waagen, Messer, Lupe und Kontrollblätter, die bei jeder Pilzkontrolle ausgefüllt und Ende Jahr an das Kantonale Labor zur Auswertung geschickt werden.
Die Pilzkontrollstelle Kloten ist für 16 Unterländer Gemeinden zuständig, darunter die Städte Wallisellen, Opfikon und Kloten. «In anderen Jahren konnte ich ganze Stapel Kontrollblätter abliefern, in diesem Jahr ist es ein bescheidenes Häufchen», sagt sie. Der Grund: Wegen der Wärme und grossen Trockenheit sind viele Pilze gar nicht erst gewachsen oder sind schon mit Trockenschäden aus dem Boden gekommen. «Letztes Jahr gab es während zwei bis drei Wochen eine richtige Pilzschwemme, dieses Jahr fand man höchstens in der Höhe Pilze.»
Bis 7000 Arten in Europa
Ziel der Pilzkontrolle ist nicht nur, einen Überblick über das Vorkommen der Pilze zu bekommen, sondern in erster Linie die Sammlerinnen und Sammler vor bösen Überraschungen zu schützen. «Es gibt nicht viele tödliche Pilze wie der Grüne Knollenblätterpilz», sagt Jeannine Bollinger. «Aber viele, die Beschwerden verursachen oder Lebensmittelvergiftungen, weil sie überständig sind.» Auch der bekannte rote Fliegenpilz mit den weissen Tüpfchen ist nicht tödlich, aber er kann eine halluzinogene Wirkung haben. «Wenn er ganz jung ist, ist er schneeweiss und wird gerne mit einem Stäubling verwechselt. Und wenn es viel regnet, verschwinden die weissen Tupfen und man erkennt ihn auch nicht auf Anhieb.»
In Europa gibt es 6000 bis 7000 verschiedene Grosspilze. Jeannine Bollinger hat vor acht Jahren die Prüfung zur Pilzkontrolleurin gemacht. Wie viele Arten sie kennt, kann sie nicht genau sagen. «Bei der Abschlussprüfung muss man 70 Arten kennen. Jeder Pilzkontrolleur und jede Pilzkontrolleurin hat einen anderen Wissensstand. Wenn ich einen Pilz vorgelegt bekomme, den ich nicht einordnen kann, behalte ich ihn sicherheitshalber zurück. Bei manchen Pilzarten ist der Unterschied minim, man kann ihn nur unter dem Mikroskop erkennen.»
Zubereitungstipps inklusive
Wenig später erscheint die erste Pilzsammlerin mit sorgfältig in Haushaltpapier eingewickelten Pilzen. Erst werden sie sortiert und ausgelegt. «Diese hier sind Reizker, man erkennt sie an der rötlichen Milch», erklärt die Pilzfachfrau. «Man sollte sie ausschliesslich gebraten essen.»
Der nächste Pilz, den sie untersucht und den die Sammlerin für einen Parasol hält, wandert jedoch in den Abfallsack. «Das ist ein Spitzschuppiger Stachel-Schirmling, der ist giftig.» Auch ein Dunkler Hallimasch ist unter den gesammelten Pilzen. «Diesen Pilz muss man abkochen und das Wasser abgiessen, bevor man ihn isst. Sonst riskiert man Magen-Darm-Beschwerden. Man kann ihn aber auch ohne Vorkochen trocknen und so verwenden.» Der Hallimasch ist ein Parasit, der auch Kulturbäume schädigt, und ist deshalb im Kanton Zürich von der Schonzeit für Pilze, die jeweils vom 1. bis 10. jeden Monats dauert, ausgeschlossen.
Den Wissensstand erweitern
Während Jeannine Bollinger alle Pilze auf die Waage legt und auf dem Pilzkontrollschein einträgt, ist bereits die nächste Sammlerin gekommen. Unter ihren Fundstücken befinden sich ein paar Trompeten-Pfifferlinge – ein sehr guter Speisepilz, wie Jeannine Bollinger betont – sowie ein nicht geniessbarer falscher Pfifferling und ein Täubling. «Es gibt etwa 600 verschiedene Täublinge. Um festzustellen, ob ein Täubling geniessbar ist, beisst man ein kleines Stück ab, kaut es und spuckt es wieder aus. Ist der Geschmack bitter oder scharf, kann man ihn nicht essen.» Das gekostete Exemplar erweist sich als besonders scharf und landet im Müll.
Nun betritt der Walliseller Andreas Griesbach das Lokal. «Ich habe versucht, giftige Pilze zu finden und zu bestimmen», sagt er. Während er gemeinsam mit der Fachfrau über die einzelnen Pilze diskutiert, zeigt sich, dass auch er trotz grossem Wissen mit einigen Beurteilungen danebenlag. Doch durch das Gespräch mit Jeannine Bollinger kann jeder Pilzsammler und jede Pilzsammlerin einiges dazulernen. Im Korb des nächsten Sammlers befinden sich nebst Hallimaschen auch zwei Krause Glucken. «Das ist einer meiner Lieblingspilze», sagt die Kontrolleurin.
Kontrollstelle Kloten schliesst
Allen, die Spass am Pilzsammeln haben, rät sie, die Fundstücke im Zweifelsfall immer einer Kontrollstelle vorzulegen. Die Pilzkontrolle Kloten ist jetzt bis August 2024 geschlossen, aber bis Ende November kann man die Pilze jeweils mittwochs von 17.30 Uhr und sonntags von 17 bis 18.30 Uhr im Gemeindehaus Embrach an der Dorfstrasse 9 noch zeigen. «Die Pilzsaison endet jetzt bald», sagt Jeannine Bollinger und fügt an: «Wenn es kalt ist in der Nacht, wachsen kaum mehr Pilze. Nur einige wenige Sorten vertragen Nachtfrost.»