Digitaler Reiz der Handys – zu welchem pädagogischen Preis?

Jared Thomas

Schaden Mobiltelefone der pädagogischen Entwicklung in der Schule? Oder tragen sie viel mehr zu modernem schulischem Lernen bei? Die Meinungen gehen weit auseinander. Nun schaltet sich auch die Politik ein.

Es ist grosse Pause an einer beliebigen Sekundarschule irgendwo im Kanton Zürich. Die Schülerinnen und Schüler stehen in Gruppen herum, doch statt lebhafter Gespräche richten sich alle Blicke auf ihre Handys. Lachen und kurze Ausrufe hallen über den Pausenplatz, während Bildschirme geteilt und Videos gezeigt werden.

Das Smartphone, längst Teil des Alltags, steht im Mittelpunkt. Und genau das ist der Kritikpunkt, der aktuell heiss diskutiert wird. Pädagogen, Eltern, aber auch Politiker sehen die zwischenmenschliche Kommunikation schwinden, ja sogar in Gefahr. Gespräche treten in den Hintergrund, und die Einsamkeit wächst. An einigen Schulen geht man dagegen vor – mit einem Handyverbot.

Politik wird aktiv

Im Kanton Zürich haben vor einigen Wochen zwei Kantonsräte der SVP und der EDU einen Vorstoss eingereicht. Sie fordern den Regierungsrat auf, sich mit ­einem aus ihrer Sicht möglichen, ja gar nötigen Handyverbot an öffentlichen Schulen auseinanderzusetzen.

Argumentiert wird, dass Smartphones vor allem in der Oberstufe «eine erhebliche Ablenkung für Schüler und Schülerinnen darstellen». In ihrer Anfrage betonen Markus Bopp (SVP, Otelfingen) und Roger Cadonau (EDU, Wetzikon), dass nur wenige Jugendliche dem Reiz widerstehen könnten, immer wieder auf den Bildschirm zu schauen, was zu Unruhe im Unterricht führe. Auch Regierungsrätin Silvia Steiner (Die Mitte) hat kürzlich in einem interview mit dem «Tages-Anzeiger» dafür plädiert, ein Handyverbot an Schulen einzuführen. Die Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) betonte, dass «zwischen­menschliche Kommunikation ein Stück weit verlernt worden» sei.Sie sagte aber auch, dass es dafür «kein generelles, von der Politik verordnetes Verbot» brauche.

Diese Entwicklung und die Diskussion über ein Handyverbot an Schulen sind nicht auf den Kanton Zürich beschränkt. Im Kanton Solothurn hat ein SVP-Kantonsrat sogar ein Verbot an Primarschulen gefordert, um die zunehmende ­Ablenkung durch Smartphones einzudämmen. Dieses gilt schon in Würenlos im Kanton Aargau, wo seit Jahren auf ein striktes Handyverbot auf dem gesamten Schulgelände gesetzt wird. Damit würde der Schulbetrieb und auch der Unterricht erleichtert, heisst es in einer Reportage von «Watson».

Und die Konsequenzen?

Doch wie sinnvoll ist ein generelles Handyverbot wirklich? Und welche Konsequenzen könnte es für den Schulalltag haben? Es scheint ein Spagat zwischen Konzentrationssteigerung und Umsetzbarkeit. Ein mögliches Handyverbot an Schulen wird kontrovers diskutiert, auch über die eingereichte Anfrage hinaus. ­Befürworter wie Bopp und Cadonau argumentieren, dass ein Verbot nicht nur die Konzentration im Unterricht steigern könnte, sondern auch die zwischenmenschliche Kommunikation fördere. Ohne Smartphones, so das Beispiel der Schule Würenlos AG, hätten die Schülerinnen und Schüler wieder mehr Zeit für echte Gespräche und gemeinsames Spielen, was von den Jugendlichen selbst als positiv empfunden werde, so das ­Onlineportal Watson. Studien sowie die Pisa-Ergebnisse (d. h. internationale Schulleistungsuntersuchungen) bestätigen zudem, dass Lernende, die ihre Smartphones während des Unterrichts nicht nutzen, deutlich besser abschneiden. Ein Verbot könnte somit direkt zu besseren schulischen Leistungen beitragen, folgert die  deutsche «Die Zeit».

Kompromisse funktionieren

Auf der anderen Seite zeigen Erfahrungen aus Schulen wie der Sekundarschule Muttenz (Kanton Basel-Landschaft), dass Kompromisslösungen ebenfalls funktionieren. Dort dürfen die Jugendlichen ihre Smartphones in den Pausen nutzen, was vielen Schulen einen kompletten Verzicht erspart, schreibt «Watson». Zudem bleibt die Durchsetzung eines strikten Verbots eine Herausforderung. Laut Pisa-Befragungen halten sich nur 17 Prozent der Schüler konsequent daran, was bedeutet, dass solche Regeln oft nur schwer kontrollierbar sind und einen hohen Aufwand für Lehrkräfte darstellen, erläutert «Die Zeit».

Zürich: Vorgaben ja, aber ...

Doch wie ist die Haltung von Direktverantwortlichen? Remo Gaus, FDP-Politiker und Schulpräsident von Wallisellen, äussert sich kritisch zu einem generellen Handyverbot an Schulen. Er betont, dass die Digitalisierung unaufhaltsam sei und die Schule Wallisellen dieser Entwicklung mit der Ausstattung aller Schüler ab der 6. Klasse mit Laptops oder Tablets Rechnung trage. Zudem sei es in erster Linie Aufgabe der Eltern, ihren Kindern einen bewussten Umgang mit dem Handy beizubringen. Ein generelles Handyverbot hält er daher für nicht zielführend. Die Schule habe jedoch eine Verantwortung, den bewussten Umgang mit digitalen Medien zu fördern und über Gefahren aufzuklären. In der Oberstufe sei es sinnvoll, dass Lehrpersonen den Handygebrauch individuell managen, etwa durch handyfreie Zonen und Zeiten.

Marc Caprez, Leiter der Kommunikation des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich, verweist auf Anfrage auf die bereits bestehenden Regelungen für Volksschulen, die «Hausordnung». Laut dieser Hausordnung, konkretisiert Hayal Oezkan vom städtischen Schulamt, sei der Umgang mit privaten elektronischen Geräten, einschliesslich Smartphones, klar geregelt. Die Stadt setze auf das «Bring Your Own Device»-Konzept, bei dem Schülerinnen und Schüler im Unterricht lernen, das passende digitale Medium zu nutzen. Zusätzlich zu dieser Hausordnung gebe es im städtischen Schulbetrieb klare Vorgaben: «Mobiltelefone und andere Geräte dürfen nur für schulische Zwecke verwendet werden.»

Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Schulpersonals müssen diese ausgeschaltet und nicht sichtbar verstaut sein. «Bei Verstössen können die Geräte eingezogen und nur von den Erziehungsberechtigten abgeholt werden», heisst es in der Regelung weiter. Die Verantwortung für die Durchsetzung dieser Regelungen liege bei der Schulleitung pro Schulhaus. Jede Schule könne darüber hinaus individuelle Anpassungen in ihren Schulhausordnungen vornehmen, um auf spezielle Gegebenheiten einzugehen, so die Auskunft der Stadt.

 

Cybermobbing: eine oft unterschätzte Gefahr ausserhalb der Schulzeit

Handygebrauch kann auch Cybermobbing umfassen. Das bedeutet wiederholte Online-Attacken mit dem Ziel, jemanden zu beleidigen oder zu belästigen: Das können peinliche Bilder sein, die im Klassenchat auftauchen, gemeine Gerüchte, die auf Social-Media-Kanälen gepostet werden, oder gar Drohnachrichten per Mail oder Messenger-Dienst. Die Stadt Zürich schreibt dazu: «Was einmal im Internet veröffentlicht wurde, kann zwar von den Erstellenden wieder gelöscht werden, ist aber kaum mehr aus dem Internet zu entfernen. Inhalte werden meist mehrfach heruntergeladen und verbreiten sich schnell weiter.» Abgeraten wird dabei besonders von Sexting (= erotischer Fototausch, meist unter Jugendlichen). Die Bilder können später als Druckmittel verwendet oder veröffentlicht werden.

Ein krasses Beispiel von Cybermobbing erschüttert bis heute: «Extremfall: Céline bis zum Suizid gemobbt» lautete der Titel der Story in «20 Minuten» im Jahr 2017. Jenes Beispiel zeigt eindrücklich, wie gravierend die Folgen von Cybermobbing sein können. Damals nahm sich die 13-jährige Céline aus Spreitenbach AG das Leben, nachdem sie von einem Mitschüler unter Druck gesetzt und schliesslich auf Social Media blossgestellt worden war. Hunderte Jugendliche hatten das Bild gesehen, Céline wurde bedroht und beleidigt – bis sie keinen Ausweg mehr sah.

Remo Gaus, FDP-Politiker und Schulpräsident von Wallisellen, sagt auf Anfrage, er habe bisher im Unterricht keine Fälle von Cybermobbing festgestellt. Doch bleibe die Schule involviert, wenn Konflikte im digitalen Raum eskalierten. «Cybermobbing findet in der schulfreien Zeit, also beispielsweise abends, statt. Klar wird die Schule damit hineingezogen, wenn es dann in der Schule, wenn alle beisammen sind, eskaliert», so Gaus. (red.)

Gwunderbrunnen

19.12.2025 - 14:00
28.11.2025 - 14:00
31.10.2025 - 14:00
29.09.2025 - 14:00
26.09.2025 - 14:00
25.09.2025 - 09:00
22.09.2025 - 14:00
Zur Agendaübersicht