Daniel Rutschmann: «Gib Druck auf den Kessel, dann läuft die Maschine»
Der Dietliker restauriert die über 125 Jahre alte Dampflok «MKL302». Deren Geschichte ist eng mit dem Flughafen verbunden. Sie war für den Kiestransport vom Holberg zu den Pisten eingesetzt worden. Rutschmann träumt davon, wieder eine solche Strecke für touristische Zwecke einzurichten.
«Die Geschichte der ‹MKL302› ist ein Riesenmosaik und jedes Steinchen gibt eine kleine Ergänzung dazu», sagt Daniel Rutschmann, der die Vergangenheit der kleinen Dampflok lückenlos recherchieren will, die einst beim Bau des Flughafens Kloten emsig im Einsatz war. Die originalen Ablieferungspapiere, die im Verkehrsmuseum in Dresden lagern, belegen, dass die Dampflok im Jahr 1898 in der «Märkischen Lokomotivfabrik» mit der Werknummer 302 gebaut wurde und damit die drittälteste ihrer Baureihe ist. Nachdem die dampfbetriebene Maschine zuerst im Deutschen Kaiserreich blieb, kam sie nach Tapiau, um Rüben in die Zuckerfabrik zu transportieren. Weil die Zuckerrüben in Ostpreussen nicht gut gewachsen sind, wurde die Fabrik eingestellt und die Lok verkauft. Wohin, ist bis heute unklar. Sie tauchte aber einige Jahre später wieder auf, bei einer Baufirma in Liestal, die sie ab 1916 im Berner Seeland beim Bau der Eisenbahnstrecke Biel–Ins einsetzte. Die Lok war zudem beim Bau des Flusskraftwerks Auenstein-Rupperswil auch im Aargau im Einsatz.
Kleine Lok ist wendiger
Als 1946 der Flughafen in Kloten gebaut wurde, war auch die kleine «MKL302» dabei, obwohl es zur damaligen Zeit bereits viel grössere Diesellokomotiven gab, die mehr Material transportieren konnten. «Die kleine Lok ist robuster und durch ihre geringe Spurweite wendiger als grosse Baumaschinen», bemerkt Rutschmann. In Kloten am Holberg, wo der Winterzirkus «Salto» jeweils seine Zelte aufgestellt hat, wurden für den Flughafenbau etwa 1,3 Millionen Kubikmeter Kies abgebaut und in einem eigens dafür errichteten Kieswerk aufbereitet.
Die kleine Dampflok wurde vor allem zum Rangieren im Abbaugebiet eingesetzt und sammelte jeweils die kleinen, von Hand beladenen Wagen auf dem Gelände des Kiesabbaus ein. Die leichten Gleise waren vom Holberg bis in den Bereich der Panzerpisten verlegt worden. Bis zu zehn Waggons mit rund 140 Tonnen Kies konnte das metallene Gefährt bis ins damalige Sumpfgebiet transportieren, wo das Material für den Bau von Pisten und Rollbahnen benötigt wurde.
Ihr Einsatz am Flughafen dauerte bis 1951. Danach übernahm sie die Vereinigten Baufirmen AG Zürich und setzte die Lok je nach Bedarf als Feld-, Bau- oder Grubenbahn ein. Zur Erweiterung der Pisten kehrte die «MKL302» von 1956 bis 1960 dann nochmals nach Kloten zurück.
Als Schmuckstück im Garten
Zwei Jahre, nachdem 1960 das Kieswerk am Holberg zurückgebaut wurde, ging die Lok in das Eigentum der Familie Keller in Rorschacherberg über, die sie bis ins Jahr 2023 als Schmuckstück in den Garten stellte. Als die nächste Generation die Lok zum Verkauf angeboten hatte, bekam die «Szene» schnell Wind davon. «Ich habe unter einigen Kaufinteressenten den Zuschlag bekommen, weil ich der einzige war, der die 125 Jahre alte Lok wieder in den originalen und fahrtüchtigen Zustand bringen wollte», sagte Rutschmann. Im letzten Oktober hat er das Gefährt Lok von einem 300-Tonnen-Kran aus dem Garten heben lassen, da er sie nach der langen Standzeit nicht bewegen wollte. Der 57-Jährige befürchtete, sie könnte dabei beschädigt werden.
Mit dem Lastwagen gings dann nach Winterthur, wo sie nun im ehemaligen SBB-Lokomotivdepot auf einer Rollabsetzmulde zwischen mehreren historischen Bahnwagen steht, die ebenfalls restauriert oder instand gehalten werden.
Rutschmann will die Lok bis zu seiner Pensionierung in acht Jahren restaurieren. Sie soll ihren ursprünglichen Zustand wieder erhalten, den sie vor über 125 Jahren hatte, als sie das Werk in Berlin verliess. «Die Lok ist für 1000 Jahre gebaut», betont Rutschmann, der von der Robustheit der Einzelteile, der nachvollziehbaren Technik und dem nahezu verschleissfreien Dampfantrieb fasziniert ist. «Gib Druck auf den Kessel, dann läuft die Maschine», sagt Rutschmann. Nachdem er seit über 30 Jahren beim Dampfbahnverein Zürcher Oberland schon zahlreiche Bahnwagen und Lokomotiven revidierte und seit 25 Jahren in Romanshorn als Cheftechniker eine Dampflok betreut, hatte er das starke Verlangen nach einem ganz eigenen, persönlichen Projekt. Sein Beruf als Lokführer macht es möglich, da er im Güterverkehr nur Frühschichten fährt und an den Nachmittagen genügend Zeit hat. «Die Technik habe ich mir durch ‹Learning by doing› angeeignet», sagt Rutschmann, der die Dampflokomotive bereits komplett auseinandergenommen hat. Die Einzelteile werden durch das Sandstrahlen von Farbe und Korrosion befreit, beschädigte Teile ersetzt, alles wieder zusammengebaut und neu lackiert. Jedes demontierte Teil wird zudem mit einem Etikett beschriftet. Die komplette elektrische Installation kommt in den Abfallkübel, weil sie erst später hinzugefügt wurde und im Originalzustand Petrollampen für die Beleuchtung sorgten. Der Dampfkessel, das Herzstück jeder dampfbetriebenen Maschine, wurde vom Inspektorat als «gut zwäg» befunden. «Im Inneren könnten sich aber noch einige negative Überraschungen verstecken», vermutet Rutschmann, der seit letztem Oktober rund 400 Stunden an der Lok gearbeitet hat.
Jedes Hobby kostet Geld
Wenn die Lok in acht Jahren wieder zusammengebaut ist, hat sie einen Wert von 150 000 bis 200 000 Franken. Rutschmann: «Verdient habe ich dann aber nichts damit, das ist mein Hobby und jedes Hobby kostet Geld.» Ein teures Hobby: Bereits der Transport vom Bodensee nach Winterthur kostete 18 000 Franken. Der Dampfkessel wird noch unter Aufsicht des Kesselinspektorats in Dintikon AG noch für rund 30 000 Franken generalüberholt, bei Demian Soder in der letzten Kesselschmiede der Schweiz.
Der Tüftler hat zudem die Oberfläche der gesamten Lok mit 3D-Scannern digital erfassen lassen, damit er jedes noch so kleine Detail auf seinem Tablet einsehen und die Informationen allenfalls auch für den Nachbau von Originalteilen nutzen kann. Auch das hat Geld gekostet, wie auch das Aufbereiten der beiden Achsen, die mit jeweils 5000 Franken zu Buche schlugen. Die Gesamtkosten schätzt der Glattaler auf rund 100 000 Franken.
Finanziert wird das Budget mit einer monatlichen Zahlung von 500 Franken, die Rutschmann auf ein zweckgebundenes Sperrkonto einzahlt. «Das ist auch für potenzielle Sponsoren geöffnet», sagt er weiter.
Vom Eisenbahnvirus befallen
«Ich hatte schon als Kind grosses Interesse an allem, was sich auf zwei Schienen bewegt», erinnert er sich. Sein Vater hat als Obermaschineningenieur bei den SBB gearbeitet und sich stark für den Erhalt der historischen Dampflokomotiven eingesetzt. An den Wochenenden zog es die Familie an jedes Fest, an dem eine Dampflok zugegen war. Der kleine Daniel war vom Eisenbahnvirus befallen und hatte von jeher den Wunsch, Lokführer zu werden. Mit 20 Jahren machte er zudem die Ausbildung als Dampflokführer.
Die Eisenbähnlerfamilie Rutschmann aus Dietlikon ist mittlerweile in der zweiten Generation und die dritte Generation steht bereits in den Fussstapfen. Daniel Rutschmann hat zusammen mit seinen beiden Brüdern Christoph und Thomas und den beiden Schwägerinnen den Verein Dynamometerwagen gegründet und einen eigenen Bahnwagen aus dem Jahr 1913 mit rund 30 Plätzen zum Salonwagen umgebaut. Die Grossfamilie Rutschmann mietet immer wieder eine Lok und ist dann mit ihrem Bahnwagen auf dem Schweizer Schienennetz auf privaten Fahrten unterwegs. Die Kosten für Lokmiete, Infrastruktur der SBB und Personal belaufen sich auf rund 6000 Franken.
Baubahn als Touristenmagnet
Die Jungfernfahrt mit seiner kleinen «MKL302» wird allerdings einmal schwieriger, da sie Gleise mit einer Spurbreite von 750 Millimeter benötigt, die es in der Schweiz nicht mehr gibt. Doch auch dafür hat der Tüftler bereits eine Lösung gefunden: In der österreichischen Grenzgemeinde Lustenau gibt es die passende Museumsbahnstrecke der Internationalen Rheinregulierungsbahn, die vom Alten Rhein an den Bodensee führt.
Der «Eisenbahnverrückte» hat aber noch eine Vision: Er würde gerne als Touristenattraktion eine Baubahn vom Holberg bis zum heutigen Bereich der Panzerpiste bauen. «Wenn die Lok eine dritte Epoche in Kloten fahren würde, würde ich dafür einen Verein gründen», verspricht er. Doch zuerst muss die Dampflok wieder fahrtüchtig sein.