Wie man Demokratie auch noch praktizieren könnte
Die Demokratie, das Vorzeige-Staatsmodell des Westens, ist weltweit unter Druck. Ein gesamtschweizerisches Experiment soll zeigen, ob und wie man sie weiterbringen kann.
Auf der politischen Weltkarte nimmt die Zahl der tatsächlichen Demokratien eher ab als zu. In der «Urdemokratie» Schweiz ist die Stimmbeteiligung oft tiefer als in vergleichbaren Ländern. Und in Opfikon zählt sie zu den tiefsten im Kanton.
Das ist aber nicht der Grund, warum die Opfikerin Rebeca Meier auch vergangene Woche in Bern war. Zumindest nicht direkt: Die 25‑Jährige aus dem Glattpark diskutierte in den letzten Monaten regelmässig im «Bevölkerungsrat». Dafür wurden im ganzen Land 100 Menschen wissenschaftlich ausgewählt, welche die Schweiz möglichst exakt repräsentieren – eine Mini-Schweiz sozusagen. Die Universitäten Zürich und Genf und das Zentrum für Demokratie Aarau wollen mit diesem Forschungsprojekt herausfinden, ob man unsere demokratische Mitsprache attraktiv erweitern könnte.
Der Bevölkerungsrat wählte und diskutierte in der Folge das Thema «Gesundheitsförderung und Prävention» – angesichts ständig steigender Kosten von breitem Interesse. Daraus entwickelte der Rat sechs Reformvorschläge. Diese und den Bericht dazu übergaben Rebeca Meier und drei weitere Ratsmitglieder am Dienstag vergangener Woche an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. «Ich hoffe, die Komplexität unseres Gesundheitssystems hat Sie nicht krank gemacht», scherzte die Gesundheitsministerin und lobte den Bevölkerungsrat als vielfältige Perspektive und Gegensatz zu den «Filterbubbles», wo man nur noch die eigene Meinung verstärkt erhält: «Das Beispiel sollte Schule machen.» Ideen würden gerne aufgenommen – «nicht weil ich keine habe, sondern um die Diskussion zu eröffnen». Allerdings habe der Bund nur begrenzt Kompetenzen und solle nur dort eingreifen, wo die Kantone überfordert sind.
Teilweise brisante Vorschläge
Während «Gesundheitskompetenzen in allen Lebenslagen stärken» noch harmlos klingt, könnte die Einführung eines nationalen Gesundheitsgesetzes höhere Wellen schlagen. Und erst recht auf Widerstand stossen dürfte die Forderung des Bevölkerungsrats, das Werbeverbot für Nikotin und Alkohol zu verschärfen und eine «Zuckersteuer» einzuführen.
Genau wie im Bevölkerungsrat intensiv diskutiert und unterschiedlich abgestimmt wurde, kamen die Forderungen auch in der Politik unterschiedlich an. In einer Begleitgruppe aus derselben wurden die Vorschläge gleich nach der Übergabe in Bern ein erstes Mal diskutiert. «Durch die grosse Zustimmung im Bevölkerungsrat sind die Vorschläge breit abgestützt», fand etwa Barbara Gysi (SP), Nationalrätin und Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. «Es sind Ergebnisse, die uns zu denken geben müssen.» Der Schweizer Flickenteppich kantonaler Bestimmungen führe zu Ungleichheiten: «Es braucht ein nationales Gesundheitsgesetz.»
Die grüne Ständerätin Maya Graf freute sich, dass mit der Prävention das «Stiefkind der nationalen Gesundheitspolitik» auf der Agenda stehe. Die Ursache dafür seien wirtschaftliche Interessen: «Je weniger Kranke, desto weniger Geld ist damit zu verdienen.»
Lobby- oder legitime Interessen?
Dem widersprach Benjamin Fischer (SVP), der das Lobbythema anders wahrnimmt: «Es gibt zwar viele zuwiderlaufende Interessen, doch diese sind legitim, da die Pharmaindustrie bei der Bekämpfung von Krankheiten auch viel leistet.»
Giorgio Fonio (Mitte) fand die Vorschläge extrem bedeutend, ausgewogen und hatte im Rat die «voglia di democrazia» gespürt, die Lust an der Demokratie.
Jörg Mäder (GLP), alt Nationalrat und Opfiker Gesundheitsvorsteher, sieht ebenfalls den Bund in der Pflicht: «Er sollte nicht warten, bis die Kantone überfordert sind.» Und er unterschied zwischen Volkskrankheiten wie Übergewicht, welche mit Prävention zu behandeln seien, und der Spezialitätenpharma. «Wir alle müssen das Gesundheitswesen neu denken und nicht sagen: ‹Früher hats auch funktioniert.›» Was das Publikum mit Applaus quittierte.
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