Verbundenheit
In der Psychologie spielt das Thema Bindung eine wichtige Rolle. Alle namhaften Psychologen haben sich dazu geäussert – aber nicht nur sie. Unter den Philosophen war es besonders Martin Buber (1878 – 1965), der sich fast sein ganzes Leben lang mit Themen wie Beziehung, Bindung oder Verbundenheit beschäftigt hat. Das hatte vermutlich seinen Grund in seiner Lebensgeschichte.
Als Buber drei Jahre alt war, hat seine Mutter wegen eines anderen Mannes die Familie verlassen. Buber blieb bei seinem Vater und dessen Eltern. Vermutlich auch gerade deshalb, weil über diesen Verlust der Mutter mit dem kleinen Martin in der Familie nie geredet wurde, hat ihn das besonders beschäftigt. Eigentlich ein Leben lang.
Erziehungswissenschaften und Psychologie sind sich darin einig, dass die verlässlichen Bindungen in der Kindheit dafür bedeutsam sind, ob ein Mensch später Urvertrauen und zu seinen Mitmenschen eine gute Verbundenheit entwickeln kann. Buber fasst das so zusammen: «Das Ziel aller Erziehung ist, dass der Mensch von der Gebundenheit zur Verbundenheit komme.» Mit «Gebundenheit» meint Buber – so verstehe ich es – die eher passive Abhängigkeit des Kindes von seiner Mitwelt. «Verbundenheit» hingegen bedeutet die aktive Hinwendung vom Ich zum Du.
«Martin Buber hat aus dem Defizit eine Tugend gemacht.»
Eigentlich hätte Buber aufgrund seiner traumatischen Kindheitserfahrung auch auf die schiefe Bahn geraten können. Psychologen würden das schnell vermuten. Aber er hat aus dem Defizit eine Tugend gemacht. Er hat sich nicht vom Verlust seiner Mutter deprimieren lassen, sondern er hat diese Erfahrung benutzt, um sie zu ergründen und zu beschreiben. Weil er selbst den mit einem Beziehungsverlust verbundenen Schmerz erfahren hatte, war er auch fähig, zu sagen, was eine gute Beziehung ausmacht. Im Wissen darum konnte er Sätze formulieren wie: «Der Mensch wird am Du zum Ich.» Oder, was mir besonders gut gefällt: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung.»
Martin Buber ist ein Beispiel dafür, dass negative oder schmerzvolle Erfahrungen in der Kindheit im späteren Leben trotzdem zu positiven oder beglückenden Erkenntnissen führen können.