Kantonsparlamentarier können sich vertreten lassen

Roger Suter

Wenn ein Parlamentsmitglied für längere Zeit abwesend ist, soll es eine Stell­vertretung erhalten. Nach dem Ja des Kantonsrats hat das Volk das letzte Wort. Ob Kloten diese Regelung übernehmen wird, ist aber offen.

Am Montag hat der Kantonsrat die Frage diskutiert, ob sich Ratsmitglieder bei längeren Abwesenheiten – genauer aufgrund von Mutterschaft, Krankheit oder Unfall – vertreten lassen können. Die entsprechende Initiative war in der Kommission umstritten. Uneinig ist man sich nicht nur im Grundsatz, sondern auch bei den Gründen, die eine Vertretung rechtfertigen könnten. Die SVP etwa wollte Militär- und Zivildienst ebenfalls einschliessen. Eine knappe Mehrheit hat sich für ein Stellvertretungsregelung im Kantonsrat ausgesprochen, während die Gemeinden selber entscheiden können sollen, ob sie auch für ihre Parlamente Stellvertretungen vorsehen wollen.

Hintergrund dieser Debatte ist ein Fall, der 2019 im Nationalrat für Aufsehen gesorgt hatte: weil eine Politikerin im Mutterschaftsurlaub an einer Sitzung teilnahm und ihr deshalb die Mutterschaftsversicherung entzogen wurde. «Das war aus meiner Sicht nicht richtig», so der SVP-Kantonsrat und Opfiker Stadtpräsident Roman Schmid. «Wenn man gewählt ist, sollte man seine politischen Grundrechte wahrnehmen können. Das ist nicht mit Erwerbsarbeit gleichzusetzen.»

SVP wollte Katalog erweitern

Eine Behördeninitiative des Stadtzürcher Gemeinderates vom 3. September 2020 wollte dies beheben, indem per Gesetz Stellvertretungen in den Gemeindeparlamenten möglich sein sollten. Eine knappe Mehrheit (8 zu 7 Stimmen) der vorberatenden Kommission des Kantonsrates stimmte dem Vorhaben zu: Für mindestens drei und maximal zwölf Monate sollte die erste Person derselben Partei, welche bei den letzten Wahlen nicht gewählt worden war, diese Stellvertretung wahrnehmen können.

Eine Mehrheit der Kommission will die Vertretung auf Mutterschaft, Krankheit und Unfall beschränken; die SVP hingegen möchte auch Militär- und Zivildienst als Vertretungsgründe aufführen.

Eine zweite Minderheit aus EDU und SVP, für die Roman Schmid sprach, will gar kein Zürcher Gesetz zur Stellvertretung: «Wir möchten am alten System festhalten, da es sich bewährt hat», sagte er gegenüber dem «Stadt-Anzeiger». «In die Gemeindeparlamente werden in erster Linie Personen gewählt, was auch mit der Kantonsverfassung übereinstimmt. Das würde mit einer Vertretung ausser Kraft gesetzt.» Wobei Schmid der Überlegung, dass die erste nichtgewählte Person diese Vertretung wahrnehmen sollte, Gutes abgewinnen kann. «Das hätte neben der Legitimation auch ein schlankes Verfahren zur Folge.»

Beide Seiten bemühen das Volk

Eine Stärkung des Milizsystems, wie von den Befürwortern vorgesehen, brächte ein solches Zürcher Gesetz hingegen nicht mehr, findet Schmid. Denn pikanterweise änderte der Bund – nach drei Jahren Beratung in Zürich und kurz nach Beschlussfassung zur vorliegenden Initiative – die Regelung (siehe Kasten). «Ich habe praktisch keine Ratssitzung hier drin erlebt, bei der wir vollzählig waren», sagte Schmid am Montag im Kantonsrat. Das gehöre zum Milizsystem, und die SVP/EDU-Fraktion wolle das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Demokratie hochhalten und keine «temporären Politikerinnen und Politiker, sondern persönliche Verantwortung. Isabel Bartal (SP, Eglisau) widersprach: Die Abwesenheiten führten dazu, dass die Abstimmungsergebnisse teilweise vom Zufall abhingen und die parteipolitische Repräsentation im Parlament verzerrt werde, was dem Willen des Souveräns nicht entspreche. Die Änderung nach dem Vorbild des Kantons Aargau sei keine Revolution und auch keine perfekte Lösung, sondern eine pragmatische Lösung, welche die Demokratie stärke. Nach vielen weiteren Wortmeldungen zweifelte Roman Schmid daran, dass die Stellvertreterregelung Abgänge aus Gemeindeparlamenten verhindern würde. In Opfikon seien nach dem ersten Jahr dieser Legislatur jedes dritte oder vierte Mitglied zurückgetreten – mehrheitlich wegen Wegzug oder langer Amtsdauer. Eine einzige Person tat dies wegen Überlastung.

Thema in Opfikon andiskutiert

In der Schlussabstimmung stimmten 113 für, 56 gegen die Parlamentarische Initiative. Eine Stellvertreterregelung wird im Kantonsrat somit möglich – sofern das Volk zustimmt.

Aus Opfikon sind Schmid, der seit 2006 im hiesigen Parlament sitzt – zuerst als Gemeinde- und nun als Stadtrat–, keine Fälle bekannt. Ob Opfikon eine Stellvertretung regeln wird, lässt sich gemäss Schmid noch nicht sagen. «Sollte dies in unserer Gemeindeordnung festgeschrieben werden, gibt es auch auf Gemeindeebene eine Volksabstimmung.»

Laut dem soeben abgetretenen Opfiker Gemeinderatspräsidenten Jeremi Graf habe die Ratsleitung das Thema vor rund einem Jahr besprochen – gerade wegen vieler Abwesenheiten.  Ein Argument dafür war, dass man so Junge für Politik motivieren könnte, ohne etwa die Möglichkeit für ein Auslandsemester zu verbauen. Andererseits seien Gemeinde- halt auch Personenwahlen, was gegen die Stellvertretung sprechen würde.

Auch sein Klotener Amtskollege Philip Graf (SP) sagt, man habe das Thema schon vor rund zwei Jahren andiskutiert. Und aktuell sei tatsächlich ein Mitglied im Mutterschaftsurlaub, weshalb eine Stellvertreterregelung sicher wieder aufs Tapet komme.

 

Regeln aus Bern würden auch für Zürich gelten

Parlamentarierinnen, die während des Mutterschaftsurlaubs an einer Rats- oder Kommissionssitzung teilnehmen, an der sie sich nicht vertreten lassen dürfen, behalten seit 1. Juli 2024 ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung. Vorher hatten Parlamentarierinnen ihren Anspruch darauf gemäss Erwerbsersatzverordnung (EOV) verloren – auch für ihren Haupterwerb, wie es sogar das Bundesgericht als richtig befand. So widerfuhr es der Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy im Frühjahr 2019.

Voraussetzung für die neue Regelung aus Bern ist allerdings, dass für die betreffende Sitzung keine Vertretungslösung vorgesehen ist (wie sie am Montag im Zürcher Kantonsrat diskutiert wurde). Die Parlamentarierin könne so ihren vom Volk erteilten Auftrag auch während des Mutterschaftsurlaubs ausüben und die Stärkeverhältnisse im Parlament blieben trotz Elternschaft erhalten, so der Bundesrat. (rs.)