Ein erfolgreiches Integrationsgespann

Roger Suter

«Tandem» nennt sich ein System, nach dem geflüchtete Menschen mit Hilfe von Freiwilligen hier Fuss fassen können. Baraa Al Ali aus Syrien und Sandra Aeschbacher aus Wallisellen bilden seit Januar so ein Integrationsgespann. .

Baraa Al Ali kam 2014 aus Syrien in die Schweiz, wo schon einige ihrer Geschwister leben und arbeiten. Die 45-jährige wohnt mit ihrer Familie – ein berufstätiger Ehemann und vier Kinder zwischen 4 und 14 Jahren – in Glattbrugg. Der älteste besucht ab Sommer das Gymi, er will Arzt werden. Und Baraa Al Ali selbst hat sich zum Ziel gesetzt, auch wieder einer bezahlten Arbeit nachzugehen. In ihrer syrischen Heimat war sie während zehn Jahren Lehrerin für Arabisch. Und vor der Pandemie war sie ein Jahr lang im Glattpark Klassenassistentin. Sie würde gern wieder mit Kindern in der Schule oder in einem Hort arbeiten.

Um wieder eine Stelle zu finden, bräuchte sie aber «mehr Papiere», will heissen: Anerkennung ihrer Ausbildung als Lehrerin und Bescheinigungen über absolvierte Deutschkurse. Vor Corona hat Baraa Al Ali zweimal die Woche einen Deutschkurs besucht, der dann während der Corona-Pandemie eingestellt wurde. Danach war die Fortführung wegen der Betreuung ihrer vier Kinder nicht mehr möglich. Sie besucht aber regelmässig das «Café International», ein Treffpunkt für alle, die sich austauschen, Deutsch sprechen und Leute kennenlernen wollen. «Hier in Opfikon gibt es tolle Programme für Ausländerinnen und Ausländer», lobt die Syrerin das Engagement der Stadt.

«Spannend und schön»

Und nicht nur das: Der Verein Prointegration bietet mit «Fokusnetzwerk» ein Programm an, in dem Menschen wie Baraa Al Ali Unterstützung finden (siehe Kasten). Seit Ende Januar trifft sie sich regelmässig mit ihrer «Tandem-Mitfahrerin» Sandra Aeschbacher. Die 50-jährige hat schon an ihrem früheren Wohnort Hinwil Menschen begleitet, bei alltäglichen Besorgungen geholfen und damit auch ins Dorfleben integriert. «Ich möchte die Menschen unterstützen, damit sie sich hier schneller zurechtfinden können», begründet die Wallisellerin ihr Engagement. Zuvor hatte sie für Pro Senectute während zehn Jahren Besuchsdienste wahrgenommen; heute versieht sie Treuhanddienste für Pro Infirmis, arbeitet freiberuflich im Officebereich und freiwillig bei Fokusnetzwerk im Glattpark. Hier gilt es nun, den Menschen den Weg ins Arbeitsleben zu erleichtern. «Das ist spannend und schön», findet Sandra Aeschbacher, die selbst keine Familie hat, aber den Kontakt zu verschiedenen Menschen und die multikulturelle Atmosphäre an ihrem Wohnort im Walliseller Richti-Areal schätzt.

In ihren regelmässigen Gesprächen besprechen die beiden Frauen Alltägliches, erörtern allenfalls anstehende Probleme und treiben die Stellensuche voran. Sandra Aeschbacher hilft Baraa Al Ali mit ihrer Erfahrung im Dokumentenbereich, etwa beim Verfassen von Motivationsschreiben für Bewerbungen – mit dem Ziel, dass die Syrerin das bald einmal selbst tun kann. «Ich sehe mich als Gehhilfe, die man irgendwann nicht mehr braucht», umschreibt Sandra Aeschbacher ihren Auftrag als «Tandem»-Partnerin.

Und Baraa Al Ali ergänzt: «Und ich lerne dabei auch noch besser Deutsch.» Ihre Kinder seien damit besser zurechtgekommen, obwohl es eine sehr schwierige Sprache sei, findet die Arabisch-Lehrerin, und entschuldigt sich schon mal vorsorglich für ihre Fehler. «Aber ich rede halt einfach. Und ich schätze es, dass hier niemand lacht, wenn ich etwas falsch sage.»

Heimisches Studium beweisen

Die Sprache ist aber nicht das einzige Hindernis. Menschen mit einem Studium in der Heimat hätten es schwer, dieses im Ausland anerkennen zu lassen, findet Sandra Aeschbacher. «Etwa, wenn die besuchte Uni gar nicht mehr existiert, weil sie vielleicht bombardiert wurde.» Deshalb unterstützt sie Baraa Al Ali beim Einreichen der entsprechenden Dokumente zur Anerkennung. Denn: «Manchmal sind diese Menschen einfach zu bescheiden.»

Bei der Arbeit mit Geflüchteten müssten hin und wieder kulturelle Hürden überwunden werden, manchmal auch Traumata vom Erlebten oder der Flucht davor. «Es ist für beide Seiten nicht einfach: weder für die geflüchteten Menschen nochfür das Land, das sie aufnimmt», findet Sandra Aeschbacher. Ihre Mutter stammt aus Brasilien; sie selbst hat Ausländerfeindlichkeit erlebt. Sie bewundere aber auch die Kraft, welche in den Menschen stecken würde – und den Stolz darüber, je länger, je weniger von Sozialhilfe abhängig zu sein, auf eigenen Füssen zu stehen und selbst Entscheidungen zu fällen. Baraa Al Ali will nicht nur Arbeit finden, sondern auch Autofahren lernen.

Wer wie Sandra Aeschbacher Menschen im Rahmen von fokusnetzwerk begleiten möchte, sollte neben zeitlicher Verfügbarkeit vor allem Einfühlungsvermögen mitbringen – sowie Deutsch fliessend sprechen und mit dem Leben in der Schweiz vertraut sein. «Man hört hin und wieder furchtbare Geschichten.» Diese Themen würden aber etwa in Intervisionen und Weiterbildungen, die fokusnetzwerk den Freiwilligen anbietet, näher behandelt und besprochen.

Wie die Tandems zueinander finden

Die Fachstelle Integration des Kantons Zürich hat ein Tandemprogramm etabliert, welches geflüchtete Menschen mit der einheimischen Bevölkerung vernetzt. Die Unterstützung in sozialen, gesellschaftlichen, sprachlichen und beruflichen Themen steht dabei im Vordergrund. Der gemeinnützige Verein Prointegration mit Sitz an der Thurgauerstrasse im Glattpark ist bis 2027 als Partner ausgewählt worden und ist für die Bezirke Bülach und Dielsdorf zuständig. Sein 2017 gegründetes Programm «Fokusnetzwerk» verbindet sogenannte Mentorinnen und Mentoren mit den Teilnehmenden (Aufenthaltsstatus B, F sowie S) hauptsächlich aus Afghanistan, der Türkei, Syrien, Eritrea sowie seit 2022 aus der Ukraine. «Wie wir aus langjähriger Erfahrung wissen, gibt es viele interessierte Menschen, die sich gerne freiwillig engagieren möchten», so Hanspeter von Dach, Geschäftsführer des Vereins.

Die Menschen, die Unterstützung wünschen, werden entweder von ihrer Wohngemeinde zugewiesen oder melden sich selbst an über ein einfaches Formular auf der Webseite. Die betreuenden Freiwilligen kommen aus allen Alters- und Herkunftsgruppen. Die meisten sind deutscher Muttersprache, es gibt aber auch integrierte, gut deutschsprechende Migrantinnen und Migranten, die sich engagieren, weil sie selbst erlebt haben, wie schwierig die soziale Integration sein kann. «Wir wünschten uns, dass vermehrt Personen aus den Bezirken Bülach und Dielsdorf ein Mentoring übernehmen», führt Hanspeter von Dach aus. Die Treffen könnten so mehrheitlich lokal stattfinden.

Der Vereinsstandort Glattpark ist dabei eher zufällig gewählt. Er ist aber mit dem öffentlichen Verkehr sehr gut erreichbar. Auch der Kontakt zu Behörden oder anderen Stellen vereinfache sich, wenn man aus dem gleichen Bezirk stammt. Derzeit verzeichnet der Verein 61 solcher Tandem-«Paare» in Opfikon, 5 in Kloten, und 15 in Wallisellen. «Seit Sommer 2021 haben wir rund 200 Tandempaarungen vernetzen können», erklärt Hanspeter von Dach.

Konkret funktioniert eine Vernetzung so: Nach einem Erstgespräch mit Freiwilligen oder Geflüchteten, das auch die Präferenzen betreffend Tandempartnern sowie Unterstützungsbedarf beziehungsweise Hilfsangebot (Deutsch Konversation, Wohnungssuche, und so weiter) zum Thema hat, werden passende Personen bei einem «Matching»-Treffen vernetzt. Die Tandems treffen sich dann in der Regel wöchentlich für 1 bis 2 Stunden,  dies während 6 Monaten. Die Ziele legen die beiden gemeinsam in einer Vereinbarung fest, die laufend aktualisiert und ergänzt wird. Während dieser gesamten Zeit begleitet der Verein die Tandems und ist Anlaufstelle bei Fragen oder Problemen.   

Informationen: https://fokusnetzwerk.ch/#Tandemprogramm