Der letzte Ton vom Männerchor
Mit dem Männerchor ist ein weiterer Opfiker Verein verschwunden – und ein traditionsreicher dazu. Gegründet wurde er – vermutlich – im Jahre 1861.
Nach 164 Jahren hat der Männerchor am 26. Juni 2025 seine letzte Vereinsreise angetreten («Stadt-Anzeiger» vom 10. Juli). Das Durchschnittsalter im Verein betrug am Schluss 83 Jahre, Nachfolger für die am Schluss noch 19 Sänger waren nicht in Sicht. So beschloss man bereits Ende 2024 die Auflösung des traditionsreichen Vereins.
Wann genau der erste Opfiker Chor gegründet wurde, ist gemäss der Vereinschronik nicht ganz klar. Einziger Hinweis ist eine Fahne mit der Aufschrift «Gesangverein Opfikon» und der Jahreszahl 1861. Und weil daraus nicht hervorging, ob es ein Frauen-, ein Männer- oder ein gemischter Chor war, hat man das Gründungsjahr für den Frauen- und den Männerchor auf dieses Jahr festgelegt. Beide Chöre pflegten gute Beziehungen zueinander und führten gemeinsam Abendunterhaltungen, Familienanlässe und Konzerte durch.
Anfänge liegen im Dunkeln
Aus den ersten Jahren ist nichts Schriftliches überliefert. 1878 jedoch konnte man von einem Sängerfest in Kloten lesen – nicht über das Gesungene, sondern dass die meisten Teilnehmer an einer Fleischvergiftung erkrankten. 1886 sang man beim 100. Geburtstag der Kirche Kloten, 1890 in Seebach und 1892 in Bülach. Offenbar war man zwar laut, aber nicht sehr erfolgreich, und erst 1897, als das neue Opfiker (Dorf-)Schulhaus eingeweiht wurde, ging es unter Leitung des Lehrers Frauenfelder weiter. Ab 1899 gab es im alten «Löwen» (wo heute die «Casa Alegría» steht) einen Saal, wo man auch Konzerte gab. ab 1954 sang man dann im Singsaal Halden,
«Allerdings war es dort im Winter so kalt, dass die Bauern im Chor einmal kurzerhand ein paar Stühle im Ofen verbrannten», schmunzelt Präsident Mario Beer.
Geprobt wurde ab 1921 in einem Schulzimmer, wo es elektrisches Licht gab; ab_1954 sang man dann im Singsaal Halden, wo auch ein Klavier stand.
Man knüpfte auch Kontakte nach Seebach, wo der Männerchor Opfikon bei der Fahnenweihe der Zürcher Kollegen Pate war. Gross gefeiert wurde der 125. Geburtstag des Männer- und des Frauenchors 1986, am Bezirksgesangsfest in Glattbrugg.
Auch am «Klangteppich» zum 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft 1991 und am 100. des Kantonal-Gesangsvereins mit Konzert in der Zürcher Tonhalle waren die Opfiker Chöre zugegen. Zur Jahrtausendwende sang man in der «Galleria» an der Thurgauerstrasse in weissen Kitteln das Lied «Der Apotheker». Auch der erste Galaball 1987 im Glatthof war ein Erfolg, der zweite 1989 im Zirkuszelt musste abgesagt werden. Beim Stadtfest 1998, für das man sogar die Schaffhauserstrasse sperrte, wirtete der Männerchor dafür erfolgreich.
Im «Ländle» und im Radiostudio
Genau wie die Gemeinde war auch der Vereinsname des Männerchors einem gewissen Wandel unterworfen: Gegründet als Männerchor Opfikon-Oberhausen, fiel der zweite Ortsteil 1922 weg, 1960 kam dafür «Glattbrugg» hinzu.
Während vieler Jahre gab es zudem Kegelabende, Grümpelturnier-Teilnahmen, Metzgete, Chlaus- und Jubilarenfeiern – und immer wieder die beliebten Reisen, welche in früheren Jahren für manche Sänger wohl die einzigen waren: 1921 reiste man um 4 Uhr morgens mit dem Pferdefuhrwerk zum Zürcher Hauptbahnhof, übernachtete (für Fr. 2.50 im Bett und 40 Rappen im Heu) im «Rigi-Kaltbad». Die ganze Zweitagestour kostete damals 20 Franken. Die wohl weiteste Reise führte den Männerchor 1991 für drei Tage ins Südtirol. Und immer wieder brachte der Männerchor von dort Geschichten heim: «Im Tessin trafen wir einmal den Frauen- und Töchterchor aus Uster.»
Gesanglich mass man sich jeweils an den Bezirksgesangsfesten und 1981 wagte man sich gar an eine Aufnahme im Radiostudio Zürich. 2005 folgte ein kantonales Sängerfest in Horgen, 2008 ein Konzert mit dem Zürcher Chor Viril Grischun Turitg, wo man gemeinsam eine Rheinberger Konzert-Messe sang (und auch neue Sängerkollegen gewann). Diese wurde in Kilchberg, Zürich, Schaan (FL), Glattbrugg und Bülach aufgeführt. Zum gemeinsamen 150. Geburtstag mit dem Frauenchor wagte man sich 2011 ans Repertoire der schwedischen Erfolgsband Abba. Ausserdem sang der Männerchor jedes Jahr je einmal in einem Gottesdienst der katholischen und der reformierten Kirche.
Höhepunkt 1970
Die meisten Mitglieder hatte der Männerchor 1970 mit rund 70 Sängern. Davor und danach machten andere Vereine oder veränderte Freizeitgewohnheiten dem Männerchor zu schaffen. Auch das Geld, welches vor allem für die Besoldung des Dirigenten (oder einmal auch der Dirigentin) gebraucht wurde, bereitete hin und wieder Probleme: Neben den Mitgliederbeiträgen, Konzert-Eintritten und Kollekten verdiente sich der Chor beim Wirten an der städtischen 1.‑August-Feier etwas dazu.
Der letzte Präsident, Mario Beer, gehörte dem Verein 71 Jahre an. Er kam 1954 mit gerade mal 16 Jahren aus Graubünden zu seinem älteren Bruder nach Glattbrugg, um in Dübendorf eine Lehre als Gipser zu absolvieren. Der damalige Schuhmacher Bordoni habe ihn dann «zu diesen alten Männern» mitgenommen. «Ich wollte eigentlich weiterhin Trompete spielen», erzählt Mario Beer, «aber beim Männerchor war es so glatt, dass ich blieb. Es war wie eine Familie.» Das fanden auch andere, denn neben dem harten Arbeits- und Familienalltag war die Chorprobe jeweils eine willkommene Abwechslung, erzählt Mario Beer: «Manche fanden es schade, dass wir nicht zweimal in der Woche probten.»
«Der Männerchor war immer ein Ort, wo man Anschluss fand», ergänzt Hanspeter Müller, der an seinem 40. Geburtstag das erste Mal im Männerchor mittat. Heute ist er 87 und als langjähriger Aktuar auch für die vielen Berichte im «Stadt-Anzeiger» verantwortlich. «Und dieser regelmässige Kontakt wird manchen wohl fehlen», vermutet Mario Beer, «jetzt, wo der Verein aufgelöst ist.»
Die Chorproben hätten sich mit den jeweiligen Dirigenten verändert. «Als ich anfing, mussten wir noch einzeln vorsingen, damit man uns einteilen konnte», erinnert sich Mario Beer. Und dank dem letzten Dirigenten Gregor Stach und der Motivation, die er übertrug, konnte das Ende des Männerchors noch um ein paar Jahre hinausgezögert werden, ist Mario Beer überzeugt. Lange Jahre führte er nicht nur ein eigenes Geschäft, sondern auch die Feuerwehr in Kloten, wohin er in der Zwischenzeit umgezogen war. 2011 übernahm er das Amt des Präsidenten vom verstorbenen Hans Kohler.
Alle Chöre kämpfen
Das Ende kam schleichend. Die ohnehin hohe Fluktuation in Glattbrugg half dem Männerchor auch nicht, an engagierte neue Mitglieder zu kommen. Und ein Zusammenschluss mit dem Frauenchor war lange undenkbar; oft waren zudem beide Ehepartner in den jeweiligen Chören engagiert. Dennoch liess der Chor kaum etwas unversucht: Mund-zu-Mund-Propaganda, vier Ausgaben einer eigenen Hauszeitung, eine attraktive Website, Zusammenarbeit mit anderen Chören. «Aber sie hatten oft die gleichen Probleme wie wir», resümiert Mario Beer. Vor allem in den letzten zwei Jahren sei der Schwund auch bei vorher grossen Chören wie Eglisau massiv gewesen. Selbst die Bezirksverbände wurden auf Kantonsebene zusammengelegt.
Manche der jüngeren Sänger werden vielleicht in den benachbarten Chören – dem Katholischen Kirchenchor Glattbrugg, dem Männerchor Wallisellen oder der «Gospel Bridge» beitreten. Trauern will man deswegen nicht, finden Mario Beer und Hanspeter Müller übereinstimmend. «Das Leben geht weiter!»
Im November 2000 sang der Männerchor in der «Galleria» zusammen mit anderen musischen Vereinen. Für das Lied vom Apotheker trug man entsprechende Kleider. Bilder Männerchor Opfikon-Glattbrugg
So gross war der Männerchor Opfikon 1967.
Hanspeter Müller (links) und Mario Beer waren zusammen 118 Jahre im Männerchor. Bild Roger Suter