Der gute Rat: Paartherapie beim Chatbot – wie geht das?
Kann eine Maschine dabei helfen, eine kriselnde Beziehung zu retten? Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift «PLOS Mental Health», geht dieser Frage nach – und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Die künstliche Intelligenz (KI) schnitt in einem Vergleich mit menschlichen Therapeutinnen und Therapeuten erstaunlich gut ab. Doch einen grossen Nachteil hat sie.
In der Untersuchung mussten 13 Fachpersonen sowie die KI auf fiktive Aussagen von Paaren reagieren. Anschliessend bewerteten 830 Teilnehmende die Qualität der Antworten – ohne zu wissen, ob sie von einem Menschen oder der KI stammten.
Die KI überzeugte mit hoher Empathie, professionellem Ton und einer emotionalen Wärme, die für viele kaum von menschlichen Antworten zu unterscheiden war. Teilweise wurden die KI-Antworten sogar als hilfreicher wahrgenommen. Die Forscherinnen und Forscher bewerteten die Reaktionen anhand sogenannter «allgemeiner Wirkfaktoren» der Psychotherapie – darunter Empathie und therapeutische Allianz. KI schnitt erstaunlich gut ab. Aber wobei genau?
Bei Fragen zu konkreten Beziehungsproblemen kann ein Chatbot laut der Studie empathische und hilfreiche Antwort geben. Dies kommt einem Coaching gleich und kann für Menschen, welche eine schnelle Unterstützung und einen Rat benötigen, sehr passend sein. Potenzial könnte haben, dass vor allem Menschen, die aus welchem Grund auch immer im Moment keine Therapie oder Beratung beginnen wollen, von anonymen KI-Gesprächen profitieren können. Sie bekommen sofortige Antworten, erfahren emotionale Wärme durch die KI-Antworten und können ihre Gedanken ordnen und Gefühle verbalisieren.
«Menschen brauchen Menschen, um sich zu spiegeln, zu gedeihen und zu wachsen.»
Künstliche Intelligenz kann also ein mehr oder weniger guter Coach sein. Doch wenn es um den therapeutischen Prozess in der Paartherapie geht, kann ein Chatbot nicht mehr mithalten. Dieser Prozess ist komplex und dynamisch und auf zwischenmenschliche Interaktion angewiesen. Zudem spielt er sich im Moment im Beratungsraum zwischen dem Paar und auch zwischen dem Paar und der Therapeutin oder dem Therapeuten ab. Dieses Geschehen auf verschiedenen Ebenen kann nur ein Mensch wahrnehmen, indem er beobachtet und spürt. In der Regel werden in diesem Prozess, der mehrere Sitzungen in Anspruch nimmt, Beziehungsmuster offengelegt, unter denen das Paar leidet und die es verändern will.
Vieles wird erst im direkten Kontakt zwischen den Partnern sichtbar. «So kann jeder Teil seine Sichtweise erzählen, aber wenn ich das Paar dann sehe, erlebe ich die zwei Personen in ihrer eigenen Dynamik und kann meine Beobachtungen zur Verfügung stellen», so eine Paarberaterin von Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich. Dies ist enorm wichtig und hilfreich in der therapeutischen Arbeit. Und es ist der entscheidende Unterschied zu einer KI-Beratung – in der echten Paartherapie geht es um eine wohlwollende, dank dem geschützten Raum in der Therapie möglichst offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem, was ist, und um nachhaltige Veränderungen. Und ob sich was verändert und wie, kann nur im therapeutischen menschlichen Miteinander (Beratungsraum) besprochen, erlebt und reflektiert werden.
Hier kommen auch erlebnisintensive Methoden und Übungen in der Paarberatung zum Einsatz. Diese ermöglichen unmittelbare Erlebnisse. Die Klientinnen und Klienten nehmen wahr, fühlen und spüren. Damit wird der Körper als «Ausdrucksträger» innerer Zustände bewusst in den therapeutischen Prozess einbezogen. Nähe, Distanz, Ausrichtung und Haltung werden durch verschiedene Körperinterventionen sichtbar, die verbal oft nicht benannt oder sogar aktiv versteckt werden. Der Körper «lügt» nicht – er zeigt oft deutlicher als Worte, wie sich jemand fühlt. Gleichzeitig eröffnet die körperliche Arbeit neue Erfahrungsräume: Veränderungen in Haltung, Abstand oder Blickrichtung können unmittelbare emotionale Reaktionen auslösen und damit Veränderungsprozesse in Gang setzen. Der Körper wird so nicht nur zum Spiegel innerer Prozesse, sondern auch zur Ressource, über die neue Erfahrungen möglich werden. Dieses vielfältige therapeutische Werkzeug kann KI nicht bieten.
An dieser Stelle ist ein Blick auf die Online-Beratung zu werfen, denn KI könnte ja in Zukunft über Video solche Sachen vielleicht gut hinkriegen. Paare beraten im Video-Call funktioniert bis zu einem gewissen Grad, dies hat sich vor allem in der Corona-Zeit gezeigt. Interventionen auf der Körperebene innerhalb der Online-Beratung sind schon etwas schwieriger, da die Beobachtungsmöglichkeit durch den Bildschirm eingeschränkt ist. Die Situation in ihrer Komplexität wahrnehmen auf der Seite der Therapeutin oder des Therapeuten, selbst spüren und mit diesen Beobachtungen arbeiten: Das wird KI nicht können.
Weiter sind Techniken zu nennen mit dem Ziel, dem Paar zu ermöglichen, einen Schritt zurückzutreten und eine Beobachtungsposition einzunehmen. Dieser Vorgang der dissoziativen Distanzierung ermöglicht es den Partnerinnen und Partnern, sich emotional vom unmittelbaren Erleben zu distanzieren. So sind sie besser in der Lage, sowohl ihr eigenes Verhalten und Erleben als auch das ihres Gegenübers zu reflektieren und auch anders zu betrachten als bisher. Dies kann einem Paar helfen, einen Konfliktkreislauf, welcher sich über die Jahre verfestigt hat, aufzuklären und zu verändern – oder auch sehr schambesetzte Themen zu bearbeiten, zum Beispiel in der Sexualität.
Um all diese Prozesse zu begleiten, zu «rahmen» und auch zu steuern, braucht es ein professionelles Verhältnis und eine Individualität auf der Seite der Beraterinnen und Therapeuten. Aus der Individualität kommt der persönliche Beratungsstil – jede Therapeutin, jeder Berater entwickelt diesen. Und der persönliche Beratungsstil ermöglicht auch die Arbeitsbeziehung. Eine Beratungsperson, die echt und authentisch daherkommt, die Interventionen zielgerichtet und professionell vornimmt und sehr präsent und empathisch ist, kann mit einem Paar eine therapeutische Allianz aufbauen, die tragfähig ist im Therapieverlauf. Die therapeutische Allianz, das Arbeitsbündnis zwischen Therapeuten und Paaren, ermöglicht es den Therapierenden, schwierige Themen und die jeweils eigenen Anteile an den Beziehungsmustern im richtigen Moment und bedacht offenzulegen, wohlwollend zu konfrontieren und das Paar bei der gewünschten Veränderung zu begleiten.
So gelingt Paarberatung, weil das sinnliche Erleben eines menschlichen Gegenübers, das In-Beziehung-Treten, kein Chatbot ersetzen kann. Menschen brauchen Menschen, um sich zu spiegeln, zu gedeihen und zu wachsen.