Bevölkerungsrat 2025: Zusammensetzung und Vorschläge

Roger Suter

Der Bevölkerungsrat ist ein demokratisches Experiment. Seine Vorschläge sind nicht bindend, aber ein Fingerzeig, was in einer gut informierten, breiten Bevölkerung akzeptiert wäre.

Nicht im Bundeshaus, sondern im nahen Kornhaus fand die «Session» des Bevölkerungsrats ihren Abschluss. Doch das ist egal, in der Hauptstadt erinnert alles ein bisschen ans Bundeshaus – vielleicht liegt es am überall verwendeten grünlich-grauen Sandstein.

Nicht in Stein gemeisselt ist hingegen die Umsetzung der sechs Reformvorschläge, bei denen sich im Bevölkerungsrat eine Mehrheit fand (siehe Box). Denn dieser Rat selber hat keine politische Macht; die Politik – oder engagierte Einzelpersonen, welche Vorstösse einreichen – müssten die Anliegen aufgreifen.

Wissenschaftlich ausgewählt

Doch die Zusammensetzung des Bevölkerungsrats lässt vermuten, dass die Vorschläge in einer Volksabstimmung gute Chancen hätten. Denn die 100 Mitglieder wurden nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt, um die Schweizer Be­völkerung bezüglich Alter, Geschlecht, Wohnort, Ausbildung, Abstimmungsverhalten und politischer Einstellung möglichst genau abzubilden. Zuerst lieferte das Bundesamt für Statistik die Adressen aus ihren Stichproben von 27 000 Bewohnerinnen und Bewohnern der Schweiz über 16 Jahren. Davon wurden 22 000 im April 2024 per Brief um eine Teilnahme angefragt, weitere 5000 sollten sich nur zur Themenwahl äussern (eine Art Kon­trollgruppe). Aus beiden meldeten 2004 Menschen Interesse an einer Teilnahme an, wovon dann 100 ausgelost wurden.

Die Idee dahinter: Demokratie funktioniert nur, wenn die Betroffenen mitgestalten, unterschiedliche Perspektiven austauschen und in gemeinsame Lösungen vertrauen. In der Schweiz seien die Voraussetzungen dafür gut, finden die Universitäten Genf und Zürich, welche das Projekt unter Führung des Zentrums für Demokratie Aarau initiiert haben; aber auch hier zeigten sich Risse. «Wir haben deshalb neue Formen von Demokratie getestet», sagte Daniel Kübler, Professor der Universität Zürich. «Raum für Begegnungen von Menschen, die sich sonst nie begegnet wären.»

Parteien bestimmten Themen mit

Auch die möglichen Themen waren breit abgestützt: Nach einer Vorauswahl durch das Projektteam, etwa nach dem «Sorgenbarometer», wählten die im Parlament vertretenen Fraktionen aus elf Themen deren fünf prioritär aus: Finanzierung der Altersvorsorge, Energieversorgung, Neutralitätspolitik, das Verhältnis Schweiz zu Europa sowie steigende Gesundheitskosten. Dieses Themas wollten sich 41,6 Prozent des Bevölkerungsrats annehmen – mehr als bei allen anderen Themen. Zudem gaben in einer öffentlich zugänglichen Online-Umfrage weitere 881 Personen rund 40 000 Voten zur Gesundheit ab.

Nicht simulieren liess sich in dieser Versuchsanordnung, wie sich der Informationsstand der Teilnehmenden auf das Resultat auswirkt. Denn diese 100 hatten sich eingehend mit der Materie beschäftigt, was bei Volksabstimmungen nicht immer der Fall ist.  

Rangliste der sechs gutgeheissenen Reformvorschläge

Vorschlag 1: Gesundheitskompetenzen in allen Lebenslagen stärken. Die Bevölkerung soll wissen, was gesund ist. Dazu sollen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen enger zusammenarbeiten und niederschwellige Informationsangebote für alle Altersgruppen bereitstellen. Und die Fachleute sollen weitergebildet werden, um dies verständlich zu vermitteln. (Abstimmungsresultat im Bevölkerungsrat: Ja 87,5%, Nein 11,3%, Rest: Enthaltungen.)

Vorschlag 2: Nationales Gesundheitsgesetz. Analog zum Krankenversicherungsgesetz (regelt die Behandlung von Krankheiten) soll auch ein schweizweites Gesundheitsgesetz geschaffen werden, das Gesundheit und Prävention fördern, Kosten stabilisieren und die Massnahmen koordinieren soll. Einige Kompetenzen sollen zwecks besserer Koordination von den Kantonen an den Bund übergehen: Verwaltung und Koordination der nötigen Finanzen, die Gesundheitsforschung, Vorgaben zur Herstellung von gesunden Lebensmitteln und Importregelungen von ungesunden Produkten sowie allgemein die Prävention und Gesundheitsförderung. Die bedürfnisgerechte Gesundheitsversorgung (Spitäler, Spitex etc.) bleibt bei Kantonen und Gemeinden. (Abstimmungsresultat: Ja 75%, Nein 25%.)

Vorschlag 3: Nationales Gesundheitszentrum. Dieses soll die Akteure aller Ebenen bündeln und so Doppelspurigkeiten vermeiden, Wissen sammeln und vermitteln sowie Projekte und Programme evaluieren. (Abstimmungsresultat: Ja 76,2%, Nein 23,8%.)

Vorschlag 4: Nationale Kampagnen. Sie sollen über Gesundheitskosten informieren und aufzeigen, wo man selber Verantwortung übernehmen kann. (Abstimmungsresultat: Ja 63,8%, Nein 32,5%.)

Vorschlag 5: Werbeverbot verschärfen. Das bestehende Teilverbot für Alkoholwerbung soll unter anderem auf Fernsehen, Kino, Konzerte und Festivals ausgeweitet werden, wie dies die 2022 angenommene Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» aufgezeigt hat. (Abstimmungsresultat: Ja 61,3%, Nein 36,3%.)

Vorschlag 6: Lenkungssteuern. Bereits heute gibt es Lenkungssteuern für Tabak und Alkohol. Der Vorschlag zielt darauf ab, diese zu erhöhen und eine weitere Steuer für ebenfalls gesundheitsschädlichen Zucker einzuführen. Letztere soll für Süssgetränke und Süssigkeiten gelten und stufenweise über mehrere Jahre erhöht werden. (Abstimmungsresultat: Ja 52,5%, Nein 47,5%.) 

 

Weitere Artikel zum Bevölkerungsrat:
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/wie-man-demokratie-auch-noch-praktizieren-koennte
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/bevoelkerungsrat-2025-zusammensetzung-und-vorschlaege

https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/ich-bin-stolz-auf-unsere-arbeit
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/opfifon-eine-steilvorlage-fuer-die-politik