Auf der Schattenseite des Fussballs

Nicola Berger

Die Gefährten von Glattbrugg: Einen Steinwurf von Wallisellen entfernt nutzen vertragslose Fussballer ein Überbrückungsangebot der Spielergewerkschaft, um sich den Sommer über fit zu halten. Ein Augenschein.

Auf dem satten Grün der Sportanlage Au in Glattbrugg kämpfen sich an diesem Montagmorgen knapp 20 junge Männer durch den peitschenden Regen. Oben auf der Flughafenautobahn zieht eine Parade an Camions vorbei. Das hat Symbolcharakter, denn wer in diesen Tagen in Glattbrugg trainiert, den plagt das Fernweh. Je schneller man von hier weg kann, desto besser.

Es sind Profifussballer, die ein Angebot der Spielergewerkschaft SAFP nutzen: jeden Tag kostenlose Profitrainings inklusive Verpflegung. Wer weiter als 100 Kilometer von Zürich entfernt wohnt, erhält gratis ein Hotelzimmer. Regelmässig werden Testspiele ausgetragen – in diesem Jahr unter anderem gegen die Challenge-League-Vereine Nyon und Vaduz.

Knapp 45 000 Franken kostet das vierwöchige Camp jedes Jahr. Es ist eine Investition in jene, die das Transferkarussell irgendwann abgeworfen hat. Die Gefährten von Glattbrugg sind der Gegenschnitt zu den aberwitzigen Summen, die in dieser Branche heute umgesetzt werden. Alleine der FC Chelsea aus London hat in diesem Sommer bereits knapp 240 Millionen Franken für Transfers ausgegeben.

Via Glattbrugg an den Afrika-Cup

Geleitet werden die Trainings von João Paiva, einem Portugiesen, der in der Super League einst zu den besten Stürmern gehörte, in Luzern und bei GC. Paiva, 42, coacht eigentlich das Frauenteam der Grasshoppers. Aber im Sommer hilft er seit sieben Jahren bei der SAFP aus. Er ruft Komplimente durch den Wind. Denn hier ist er nicht nur Trainer, sondern auch Psychologe. Wer den Sommer hier verbringt, ist schon ein paar Illusionen ärmer, was den Traum der glorreichen Fussballkarriere angeht. «Diese Spieler haben viele Enttäuschungen hinter sich. Wir versuchen, sie wieder aufzubauen», sagt Paiva.

Es gibt in jedem Jahr Erfolgsgeschichten. Zum Beispiel jene des Torhüters ­Antonio Signori, der im Sommer 2023 in Glattbrugg war. Signori, 30, ein Romand mit angolanischen Wurzeln, fand nach dem SAFP-Camp Unterschlupf bei Étoile Carouge. Mit dem Genfer Vorortsclub stieg er in die Challenge League auf. Und ein paar Monate, nachdem er sich von Paiva über den Platz hatte scheuchen lassen, stand er für Angola am prestigeträchtigen Afrika-Cup zwischen den Pfosten.

Gerade hat mit Simon Enzler wieder ein Torhüter aus dem Camp einen neuen Verein gefunden: Der Luzerner wechselt zum Super-League-Absteiger Yverdon-Sport. In früheren Jahren nutzten Aron Winter und Marco Schönbächler das Camp, zwei Vereinslegenden des FC Zürich. Aktuell befinden sich mit Lavdim Zumebri (ex FCZ) und Michael Goncalves (ex Servette und Winterthur) erneut akteure mit Super-League-Erfahrung in Glattbrugg in der Warteschlaufe für den nächsten Profivertrag. 

Gegensätze nebeneinander

Auf der Sportanlage Au ist es Mittag geworden. Die Spieler trotten zurück in die Kabine, ein paar Meter entfernet lang­weilen sich ein paar Polizisten. Denn die zweite Hälfte der Sportanlage wird in diesen Tagen vom englischen Frauennationalteam genutzt – die Engländerinnen gehören an der Europameisterschaft in der Schweiz zu den Mitfavoritinnen, logieren im Luxushotel Dolder Grand und überlassen in Glattbrugg wenig dem Zufall: Sie haben je einen eigenen Koch und Platzwart dabei. Paiva sagt, der von den Engländern hergerichtete Platz sei «der beste Naturrasen der Schweiz».

Es ist ein Luxus, den die Gewerkschaft den Gefährten von Glattbrugg nicht bieten kann. Aber für die Spieler ist schon das aktuelle Angebot hochwillkommen. Die Ungewissheit der zumindest temporären Arbeitslosigkeit lässt sich im Kollektiv besser ertragen. Allerdings läuft das Camp nur vom 16. Juni bis 12. Juli, dann trennen sich die Wege.

Vor einigen Jahren sprachen die SAFP-Verantwortlichen davon, dass sie ihr Angebot am liebsten auf das ganze Jahr ausweiten würden. Doch dafür fehlt das Geld – Paiva etwa sagt, dass er sich gerade von der Swiss Football League (SFL) mehr Unterstützung wünsche. In diesem Sommer fragte die SAFP bei der Liga um eine Sachspende in Form von offiziellen Matchbällen an. Die SFL schickte die günstigere, minderwertige Replika-Variante nach Glattbrugg, worauf Paiva loszog und beim Hersteller Macron das Original bestellte. An schäbigen Bällen soll die Fortsetzung der Karriere seiner Schützlinge nicht scheitern.