Arbeit – Strafe oder ­Privileg?

Friedjung Jüttner

Zum heutigen Tag der Arbeit macht sich unser Philosoph Friedjung Jüttner ein paar Gedanken zu ihrem (Stellen-)Wert.

Ich habe mal einen jungen Mann kennengelernt, der sich geweigert hat zu arbeiten. Er liess sich von seinen Eltern aushalten mit der Begründung: Die haben mich in die Welt gesetzt, jetzt sollen sie auch für mich sorgen. Arbeiten müssen, war für ihn grundsätzlich etwas Unangenehmes. Er zog es vor, die Rolle eines Taugenichts zu spielen, obwohl er damit sehr unangenehm aufgefallen ist.

Wenn ich mich recht erinnere, war er nicht von der Bibel beeinflusst. Denn da wird Arbeit teilweise negativ dargestellt. Der Schreiber des 1. Mose-Buches, der Genesis (3, 17–18), hatte zur Arbeit eindeutig kein gutes Verhältnis. Für ihn war sie Strafe, zu der Adam sein Leben lang verurteilt wurde: «Viel Mühe und Schweiss wird es dich kosten.» Nun mag Arbeit – und nicht nur körperliche – mit Mühe und Schweiss verbunden sein, aber sie muss deshalb nicht als Strafe empfunden werden. Im Gegenteil. Sie kann trotzdem als Privileg betrachtet werden. Das tut beispielsweise der Ökonom Joachim Voth. (NZZ 29. 3.  2025).

Für ihn ist Arbeit «die Quelle für ein erfülltes Leben». Das dürften vermutlich gerade die unterschreiben, die ihre Arbeit verloren haben. Wer arbeitslos ist, muss sich bei uns zwar nicht existenziell bedroht fühlen, aber er befindet sich in einem unangenehmen Zustand, aus dem er möglichst schnell wieder herauswill. (Wenigstens die meisten).

Unser Verhältnis zur Arbeit ist offenbar ein zwiespältiges: Wer Arbeit hat, stöhnt gelegentlich, weil sie manchmal zu viel wird, und er freut sich auf die Freizeit am Wochenende oder die bevorstehenden Ferien. Wer keine Arbeit hat, stöhnt auch, weil er Arbeit suchen muss und weil sie ihm fehlt.

Ich würde also gern dem oben zitierten Ökonomen recht geben und sagen: Arbeit haben, ist ein Privileg. Wenn nun jemand auch noch die für ihn richtige oder die für ihn persönlich geeignete Arbeit gefunden hat, dann ist das ein doppeltes Privileg. Er hat nicht nur ein erfülltes, sondern er führt – psychologisch gesehen – auch ein gesundes Leben. Und das deshalb, weil er gern arbeitet. Arbeit kann also auch lustvoll sein. Das würde auf jeden Fall der nicht bekannte Autor des folgenden Satzes sagen: «Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.»

«Nun mag Arbeit mit Mühe und Schweiss ver­bunden sein, aber sie muss deshalb nicht als Strafe empfunden werden.»

Friedjung Jüttner, Dr. phil., Psychotherapeut