5 Konflikte, die jedem Paar begegnen … und wie die Liebe daran wachsen kann

Noemi Ruther

John Gottman ist einer der wohl bekanntesten Paarforscher der USA. Gemeinsam mit seiner Frau, einer klinischen Psychologin und Paartherapeutin, fasst er hier die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung und therapeutischer Praxis zusammen. Das Buch ist für interessierte Einzelpersonen und Paare geeignet, kann aber auch Fachpersonen hilfreiches Wissen und Werkzeuge zur Verfügung stellen.

Der Fokus liegt auf dem Umgang mit Konflikten. Es vermittelt fundiertes und forschungsbasiertes Wissen und ist gleichzeitig sehr konkret und alltagsnah. Einerseits durch Impulse und Handlungsanleitungen, andererseits durch viele Fallbeispiele, welche die verschiedenen Punkte sehr anschaulich illustrieren. Als Leserin oder Leser kann man sich gut in die Geschichten hineinversetzen und Verknüpfungen zum eigenen Leben herstellen. Dabei geht es nicht (wie vielleicht aufgrund des deutschen Titels gedacht werden könnte) um fünf unterschiedliche Themen, die alle Paare bearbeiten müssen (wie etwa Geld, Sex oder Herkunftsfamilie), sondern eher um fünf Arten von oder Zeitpunkte in Konflikten, wo etwas schiefgehen kann (Die Bombe, die Flut, die Untiefe, die Pattsituation, die Kluft). Der englische Originaltitel «Fight Right: How Successful Couples Turn Conflict Into Connection» lautet frei übersetzt «Streitet richtig: Wie erfolgreiche Paare Konflikte in Verbindung verwandeln».

Ziemlich am Anfang des Buches weisen die Autorin und der Autor darauf hin, dass die meisten (69%) unserer Streitpunkte oder Probleme in Paarbeziehungen «ewig» oder unlösbar sind. Eine schlechte Nachricht, könnte man meinen. Dieser Fakt spricht aber auch dafür, dass es oftmals vielleicht weniger um die Auflösung des Problems als um die Gestaltung des Konflikts geht. Die beiden schreiben dazu: «Das Ziel eines ­Konflikts ist nicht, zu gewinnen. Das Ziel ist,  Ihren Partner oder Ihre Partnerin tiefgreifender zu verstehen.» 

 

«Oftmals geht es vielleicht weniger um die Auflösung des Problems als um die Gestaltung des Konflikts.»

Noëmi Ruther, Paarberaterin und Mediatorin

 

Nicht alle Menschen und Paare streiten gleich. Im Buch werden der impulsive, der vermeidende und der validierende Konfliktstil unterschieden, wobei es sich um Prototypen handelt. Bei impulsiven Paaren werden die Dinge angesprochen und es geht rasch einmal emotional zu und her. Oftmals können diese Paare aber auch mit einem gewissen Humor streiten.

Vermeidende Paare versuchen Konflikten eher aus dem Weg zu gehen, sie fokussieren lieber auf das Positive und finden es herausfordernd, schwierige Themen anzusprechen.

Paare mit einem validierenden Konfliktstil gehen eher sachlich an ein Thema heran, diskutieren und suchen Kompromisse. Es ist ihnen wichtig, dabei nicht laut oder impulsiv zu werden. Interessanterweise zeigt die Forschung, dass man mit allen diesen Konfliktstilen gute Beziehungen führen kann. Sie bieten jedoch unterschiedliche Stolpersteine. Daneben gibt es auch ungesunde Konfliktstile, die bspw. mit Verachtung einhergehen.

Wichtiger als der Konfliktstil ist das Verhältnis von Po­sitivität zu Negativität in einem Konflikt. Die Forschung deutet darauf hin, dass in einem Konflikt fünf Mal mehr positive Interaktionen (beispielsweise) Verantwortung für den eigenen Anteil übernehmen, nicken, sanfte Berührung, Verständnis ausdrücken, versuchen, einen besseren Kurs einzuschlagen …) als negative Interaktionen (etwa Augenrollen, Verallgemeinern und Ähnliches) herrschen sollte, damit eine Beziehung langfristig stabil und zufrieden bleibt. Es geht also nicht darum, Konflikte möglichst zu vermeiden, sondern, im Konflikt selbst das Gleichgewicht von 5:1 aufrechtzuerhalten.

Wie also können Konflikte nach Gottman & Gottman konkret besser verlaufen? Am Ende des Buchs geben die beiden eine anschauliche und greifbare Kurzanleitung (im Sinne einer Zusammenfassung) zum richtigen Streiten. Dazu gehört:

1 Richtig beginnen

Oftmals steigen wir hart in Konflikte ein. Wir überrumpeln den Partner oder die Partnerin direkt mit einem Vorwurf und doppeln vielleicht sogar noch mit einer Verallgemeinerung nach («Warum hast du die Rechnung noch nicht bezahlt? Du bist einfach nie verlässlich»). Die Autorin und der Autor schreiben, dass die ersten 3 Minuten entscheidend sind für den weiteren Verlauf des Konflikts. Ein sanfterer Einstieg könnte so aussehen, dass wir ein Gefühl bezüglich einer spezifischen Situation oder eines Problems und ein positiv formuliertes Bedürfnis äussern («Die unbezahlte Rechnung belastet mich. Ich mache mir Sorgen, dass sie in Vergessenheit gerät und wir eine Mahnung erhalten. Ich wäre froh, wenn du sie heute noch bezahlen könntest»). Natürlich ist es auch entscheidend, wie wir in der Rolle desjenigen reagieren, dem ein solches Anliegen vorgetragen wird. Hören wir richtig zu, ohne uns gleich zu rechtfertigen oder das Gegenüber zurückzuweisen?

2 Kooperativ bleiben

In einem Konflikt kann es vorkommen, dass unser autonomes Nervensystem stark aktiviert wird und wir regelrecht überflutet werden. Unser Puls steigt, wir haben vielleicht Herzrasen, sind angespannt und unsere Gedanken kreisen wie wild. In diesem Zustand neigen wir dazu, unser Gegenüber als Feind zu sehen und zu attackieren oder zu kritisieren. Oder wir machen komplett zu und schalten ab. In diesem Fall sollte unbedingt eine Pause eingelegt werden und das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.

3 Zu den Träumen vorstossen

Manchmal kommt man aus ­einem Konflikt einfach nicht mehr heraus. Wir fühlen uns in einer Sackgasse mit einem Problem. Hier kann es hilfreich sein, tiefer zu graben: Welcher Traum steckt hinter dem Konflikt, mit welchen Wünschen und Überzeugungen ist das Thema verbunden?

4 Flexible Bereiche erkennen

Wir wollen keine Kompromisse schliessen, wenn wir das Gefühl haben, unsere wichtigsten Bedürfnisse werden nicht gesehen oder sind bedroht. Wenn wir herausarbeiten, welche Aspekte in Bezug auf das Konfliktthema für uns absolut zentral und nicht flexibel sind und in welchen Punkten wir aber gleichzeitig eine gewisse Flexibilität und Offenheit haben, kann uns das einen Schritt weiterbringen.

5 Frühere Konflikte verarbeiten

Verletzungen, die nicht verarbeitet wurden, können schwer (wirklich) zur Seite gelegt werden. Dann ist es nötig, einen Vorfall nochmals gemeinsam zu besprechen, wobei es nicht darum geht, wessen Sicht richtig oder falsch ist. In Konflikten werden oft alte Wunden aufgerissen und schwierige Gefühle aus der Kindheit oder früheren Beziehungen reaktiviert. Wenn wir einander erzählen, wie wir uns im Konflikt gefühlt haben und was in diesem Moment in uns ausgelöst wurde (zum Beispiel, dass wir das Gefühl hatten, wir werden nicht gehört, wie das oft zu Hause bei der alkoholkranken Mutter war), können wir uns besser verstehen. Wenn wir Verantwortung für unseren Anteil am Streit übernehmen, uns entschuldigen und gemeinsam schauen können, was man bei einem nächsten Mal anders machen könnte, haben wir viel gewonnen.

Zu all diesen Punkten bieten die Autorin und der Autor im Verlauf des Buches Übungen, Fragen und Hilfestellungen, wie man ganz konkret vorgehen kann.

Obwohl Erkenntnisse aus ihren Forschungstätigkeiten herangezogen werden, sind die beiden Schreibenden auch sehr persönlich und berichten über ihre eigenen Konflikte und Hintergründe. Die Kernaussage des Buches würde ich etwa wie folgt zusammenfassen: Da viele Konflikte von unlösbarer Natur sind und uns immer wieder begleiten, ist das Ziel oft nicht das Beseitigen oder Auflösen eines Themas, sondern Konflikte so zu gestalten, dass sie uns nicht auseinander, sondern näher zusammenbringen. Oder wie die Autor/-innen  an einer Stelle schreiben: «Das Ziel ist lediglich, dieses Gespräch über das Problem positiv zu gestalten.» Ist das nicht entlastend? Es geht also weder darum, dass wir Streit um jeden Preis vermeiden, noch darum, dass wir alle Probleme lösen müssen. Und wie diese positive Konfliktgestaltung gehen soll, das erfährt man anhand vieler Impulse und Anleitungen in diesem Buch.

 

Ein Beziehungsratgeber auf 404 Seiten (exkl. Anmerkungen) von Julie Schwartz Gottman & John M. Gottman. Auf Deutsch erschienen 2024 im Ullsteinverlag.