Wasserkraft und Widerstand

Die Nutzung der Wasserkraft ist eine Erfolgsgeschichte der Ingenieurskunst und der erneuerbaren Energie. Die Errichtung von Dämmen und Kraft­werken ist aber auch eine Geschichte von Vertreibung, Enteignung und Widerstand.  Eine Ausstellung im Landesmuseum geht dem Thema nach.

Das Ausstellungsformat «Erfahrungen Schweiz» widmet sich in seiner neuesten Ausgabe einem Thema, das tief in die Geschichte und die Gegenwart der Schweiz eingeschrieben ist: der Wasserkraft in den Alpen. Die Videoinstallation bringt zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zusammen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven von ihrem Leben mit der Wasserkraft erzählen. Sie werfen Schlaglichter auf persönliche Verluste, politische Kämpfe, technische Meisterleis­tungen und ökologische Fragen – und beleuchten damit ein vielschichtiges Kapitel der Schweizer Energiegeschichte.

Fast 60 Prozent des Schweizer Stroms stammen aus Wasserkraft. Die Staumauern und ihre Kraftwerke, die grösstenteils nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, sind nicht nur Jahrhundertprojekte, sondern auch der Motor des Wirtschaftswunders. In der Videoinstallation zeigen die Perspektiven von Amédée Kronig und Eric Wuilloud das Potenzial der Wasserkraft. Amédée Kronig war von 2011 bis 2023 Direktor der Grande Dixence SA. Die von 1951 bis 1961 erbaute Staumauer ist mit ihren 285 Metern Höhe bis heute die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Eric Wuilloud leitete das Projekt des Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance, das als eines der leistungsstärksten Europas gilt. Wuilloud plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen: Dank Pumpspeicherwerken kann überschüssiger Strom in die zuverlässige Versorgung durch erneuerbare Energien im Winter investiert werden.

Kampf dem Heimatverlust

Widerstand gegen Wasserkraftprojekte gibt es seit Beginn. Zunächst richtet sich dieser vor allem gegen den Verlust der Heimat, ab den 1940er-Jahren zunehmend gegen die Auswirkungen auf die Umwelt. Gegen die Errichtung neuer Anlagen wurden politische Initiativen ergriffen, die jedoch meist keine Mehrheit fanden. Die in den 1970er-Jahren entstandene schweizweite Umweltbewegung setzte sich auch für den Alpenschutz ein. Einen wichtigen Erfolg erzielte sie in den 1980er-Jahren, als ein geplanter Stausee die Greina-Ebene bedrohte. Zu den Organisatoren des Widerstands gehörte unter anderen der Geschäftsführer der Greina-Stiftung, Gallus Cadonau. Er setzte sich mit neuen Lösungen für die Erhaltung der Landschaft ein, so zum Beispiel mit dem sogenannten Landschaftsrappen – eine Entschädigung an die Berggemeinden für den Verzicht auf Wasserkraftprojekte. Diese ermöglichte es ihnen, auf den Verkauf einer Konzession als einzigen Weg aus der Verarmung zu verzichten.

Wenn der eigene Vater umkommt

Auch die Bauarbeiten und ihre Gefahren prägten die Berggemeinden. So zum Beispiel – auf dramatische Weise – das Walliser Dorf Saas-Almagell. In der Videoin­stallation berichtet Vreni Zengaffinen von der Katastrophe an der nahe gelegenen Baustelle für den Mattmark-Stausee: Am 30. August 1965 starben 88 Menschen, als ein Teil des Allalingletschers abbrach und die Baracken der Arbeiter verschüttete. Unter den Opfern waren der Vater und der Onkel Zengaffinens. Ein weiterer Zeitzeuge der Mattmark-Katastrophe ist der Italiener Armando Lovatel. Als damals 16-Jähriger arbeitete er als Saisonnier auf derselben Baustelle, um seine Familie in der Heimat zu unterstützen. Auch er erlebte das Unglück aus nächster Nähe. Die Videoinstallation macht, zusammen mit einer interaktiven Vertiefungsstation, die Komplexität des Themas sichtbar.

Sie spannt den Bogen in die Gegenwart und zeigt: Wasserkraft ist nicht nur ein technisches oder ökologisches Thema, sondern auch ein soziales und kulturelles. Sie betrifft Menschen, Dörfer, Landschaften – in Vergangenheit und Gegenwart. Ob als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Energiezukunft oder als Mahnmal für die Risiken von Eingriffen in die Natur: Die Stimmen der Zeitzeu­ginnen und Zeitzeugen laden dazu ein, zuzuhören, nachzudenken und zu diskutieren.

Die Videoinstallation ist noch bis 2. November und von 13. Januar bis 26. April 2026 im Landesmuseum Zürich zu sehen. (pd./ls.) 

Weitere Informationen und Tickets: landesmuseum.ch/de/veranstaltung

 

«Die Katastrophe von Mattmark –Erinnerung an ein verdrängtes Unglück»

Eine Veranstaltung über Verantwortung, Vergessen und die Macht der Erinnerung: Vor 60 Jahren brach am 30. August 1965 ein Teil des Allalingletschers ab und begrub die Baracken, Werkstätten und die Kantine der Baustelle des Mattmark-Staudamms unter einer Lawine aus Eis und Geröll. Es starben 88 Menschen – 55 Italiener und 1 Italienerin, 22 Schweizer und 1 Schweizerin, 4 Spanier, 2 Deutsche, 2 Österreicher und 1 Staatenloser. Trotz früherer Warnungen und grosser öffentlicher Empörung wurde 1972 niemand für das Unglück rechtlich verantwortlich gemacht. «Die Katastrophe von Mattmark – Erinnerung an ein verdrängtes Unglück»: Mittwoch, 27. August, 18 bis 19 Uhr. Landesmuseum Zürich. Wie geht man mit einer solchen Tragödie um – persönlich, politisch, gesellschaftlich? Und wie wird sie bis heute in der Schweiz und in Italien erinnert? Darüber wird gesprochen mit dem Zeitzeugen Thomas Bur­gener, der Historikerin Elisabeth Joris und dem Journalisten Kurt Marti. Moderation: Marina Amstad, Historikerin und Ausstellungskuratorin.  

 

Der Schock steht den Behördenvertretern ins Gesicht geschrieben. Am 30. August 1965 – kurz vor Schichtende – bricht ein Stück von der Zunge des Allalingletschers ab. Eine Lawine tötet daraufhin 88 Menschen.  Bildarchiv ETH-Bibliothek Zürich

Trotz lokalem Widerstand (siehe Bild unten) werden Ende der 1960er-Jahre beim Schweizerischen Nationalpark zwei Stauseen in Betrieb genommen: der Lago di Livigno und das Ausgleichsbecken Ova Spin.  ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz

Im Dezember 1958 demonstrierten zirka 40 Engadiner Frauen in traditioneller Bündner Tracht in Zürich gegen das Kraftwerk am Gebirgsbach Spöl im Schweizerischen Nationalpark. Schlussendlich wurde trotzdem gebaut.  Bild Schweizerisches Sozialarchiv, Urheber:in unbekannt/F 5067-Fb-105

 

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