Parkett: Das Gespenst der Demokratie und die Schatten der Vergangenheit
Die Geister sind kaum wieder in ihre Gruften zurückgekehrt, der Kürbis glimmt noch matt auf dem Balkon – und doch bleibt das Grauen. Nicht in Gestalt von Vampiren, Zombies oder Clowns mit roten Ballons oder maskierten Killern mit rostigen Messern, sondern in einer weit alltäglicheren, perfideren Form: der politischen Realität.
Während sich die einen an Halloween beim Gruselfilm-Schauen erschrecken, läuft anderen ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie das Wort «Demokratie» hören. Denn was ist dieses System anderes als ein ewiges, nervenaufreibendes Experiment – halb Komödie, halb Horrorfilm, mit offenem Ende?
Lassen Sie uns also heute einmal über dieses merkwürdige, leicht ramponierte Gesellschaftsmodell namens Demokratie sprechen. Sie erinnern sich: dieses altmodische Prinzip, bei dem das Volk tatsächlich hin und wieder auch mal mitreden darf – mit freien Wahlen, unterschiedlichen Parteien, Kompromissen und all dem anstrengenden Drumherum. Angeblich einst von den alten Griechen, vermutlich in ausgelassener Runde nach dem dritten Krug Ouzo, erfunden und später rund um den Globus in unterschiedlichsten Varianten nachgebaut und für gar nicht mal so schlecht befunden. So richtig rund lief der Bums allerdings nie. Definition, Auslegung und Durchführung unterschieden sich regional stark voneinander und nicht selten fiel das System dem mutwilligen Missbrauch zum Opfer.
Trotz allem: Im Grossen und Ganzen funktionierte es erstaunlich gut und irgendwann, nach langwierigen und schmerzhaften Lernprozessen, schien ein nicht unerheblicher Teil der Menschheit verstanden zu haben, dass ein möglichst gewaltfreies Miteinander mit Spuren von Respekt, Toleranz und sozialer Unterstützung durchaus Vorteile hat. Umso irritierender, dass sich in den letzten Jahren immer mehr vor allem auch junge Menschen wieder jenen Parteien und Führungspersönlichkeiten zuwenden, die aggressiv und mit plumpen Parolen die Einschränkungen dieser mühsam erkämpften Demokratie vorantreiben. Nach eigenen Angaben absurderweise natürlich nur, um selbige zu schützen. Also vor denen, die eine abweichende Meinung haben, aus einem anderen Land kommen oder generell zu aufmüpfig sind. Verwöhnt von zu viel Freiheit scheint vielen von uns ein kleiner Hauch von Diktatur gar nicht mehr so unattraktiv – jedenfalls solange man sie nur gut genug tarnt und bitte nur die anderen Doofen von den daraus folgenden Einschränkungen betroffen sind. Man selbst macht ja gefühlt immer alles richtig, da hat man nichts zu befürchten.
Ein bisschen Ungerechtigkeit hier, ein bisschen weniger Diskussion da – Hauptsache, das ewige Debattieren hört auf. Entscheidungen müssen wieder getroffen werden. Und wenn sie falsch sind? Nun, Fehler sind ja menschlich. Die der Vergangenheit liegen ohnehin schon so ewig lange zurück, dass man sie getrost wiederholen kann. War ja schliesslich «nicht alles schlecht» damals. Und zumindest musste früher niemand gendern. Wir haben es lange genug mit Vernunft und Verständnis versucht, da darf jetzt ruhig mal wieder die andere Seite ran. Das Leben ist schliesslich kein Pony-Schlecken.
Und wenn die Demokratie dann endgültig auseinanderbricht – na gut. Dann bestellen wir uns eben eine neue. Bei Amazon. Oder noch besser bei Temu, damit wir uns beim Autokraten-Bestellen wenigstens wie Millionäre fühlen – und den bitteren Nachgeschmack in dieser Bling-Bling-Illusion ersäufen können. Und während wir das tun, lachen die Schatten der Vergangenheit aus den dunklen Ecken: alte Ideologien, halb tot und halb lebendig, huschen durch die Strassen und flüstern uns zu, dass das wahre Grauen erst beginnt. Happy Halloween nachträglich.
Matthias Ettlin wohnt in Dällikon, ist Leiter der Stadtbibliothek Kloten und als Vorleser tätig. Mehr unter: www.mithut.ch