Mit Buchtipps auf die Bühne
Zum ersten Mal kam die bekannteste Buchbloggerin der Schweiz, Manuela Hofstätter. Und hat in der Klotener Stadtbibliothek das Publikum mit ihrem quirligen Auftritt wohl für alle der zehn präsentierten Bücher begeistert.
Botschafterin des Bundes fürs Buch – diesen Titel, wenn es ihn denn gäbe, hätte Manuela Hofstätter als eine der Ersten verdient. An diesem trüben Novembermorgen tritt sie den Beweis in der Stadtbibliothek Kloten an, nur schon deshalb, weil sie furchtbar früh aufgestanden sein muss, denn sie hat zweieinhalb Stunden Zugfahrt hinter sich. Und da steht sie nun und stellt, nach einer kurzen Einführung der Bibliothekarin Esther Birk, einer Schar von rund zwanzig Leuten schwungvoll, beredt und ohne Spickzettel zehn neue Bücher vor, mit persönlichen Anekdoten und selbstironischen Kommentaren garniert.
Manuela Hofstätter, rund fünfzig Jahre alt, lebt in Einigen am Thunersee, einem Ortsteil von Spiez auf der rechten Seite des Kanderdeltas. Dort ist sie auch aufgewachsen, aufgezogen von ihren Grosseltern, die Bauern waren und mit Büchern nichts am Hut hatten. Wenn sie die Enkelin wieder einmal beim Lesen erwischten, gab es einen «Chlapf», begleitet von der Bemerkung, dass Lesen nichts bringe – so erzählt es Manuela Hofstätter bei ihrer Einleitung zum «Lesefieber on tour»-Anlass, wie sie ihre Buchpräsentationen nennt.
Sie macht auf Bücher «gluschtig»
Das Label Lesefieber gibt es nun seit zwanzig Jahren, und begründet wurde es mit einem Bücherblog. Somit zählt Hofstätter zu den ersten Bücherbloggerinnen der Schweiz und darf heute als die erfolgreichste gelten. Hunderte von Nutzerinnen und Nutzern besuchen täglich ihre Website lesefieber.ch, die sie unablässig mit neuen Besprechungen füttert. Auf das Bloggen kam sie allerdings nicht selbst – eine zentrale Rolle spielte dabei ihr Mann, der ausgebildeter Informatiker ist. Wie sie erzählt, sei er es damals leid gewesen, dass sie, die passionierte Buchhändlerin, oft auch noch nach Geschäftsschluss Kunden beraten habe, manchmal sogar sonntags am Telefon. So richtete er ihr zu ihrem 30. Geburtstag einen Blog ein, und sie verlagerte ihre Beratungstätigkeit ins Internet. Das kam ihr auch in den Jahren danach zupass, als sie zwei Kinder grosszog und auf den Job in der Buchhandlung verzichtete.
So gern sich die Vielleserin Hofstätter im Bett verkriecht – sie ist in der Tat eine begabte Entertainerin.
Doch Manuela Hofstätter ist nicht nur ein Bücherwurm, der sich laut eigenen Angaben am liebsten ins Bett verkriecht, um zu lesen, sie ist auch eine gewiefte Verkäuferin. Der Kundenkontakt und das Beratungsgespräch ist ja auch ein essenzieller Teil der Arbeit als Buchhändlerin. Überdies hat Hofstätter zuerst zwei Jahre eine Detailhandelslehre absolviert. Das verriet sie einer Journalistin in einem grossen Bericht in der «NZZ am Sonntag», der Ende April 2012 erschien. Nur verkauft sie heute nicht mehr in erster Linie, sondern wirbt für das Lesen im Allgemeinen und macht Menschen auf Bücher unterschiedlichster Art «gluschtig». Ihr besonderes Interesse gilt dabei der Förderung junger und unbekannter Autorinnen und Autoren. Eine Buchkritikerin will sie denn auch nicht sein: Sie gibt nur Empfehlungen ab. Was ihr nicht gefällt, kommt nicht in den Blog. Gemäss ihren Angaben lässt sie zwei von drei (an-)gelesenen Büchern fallen. Dafür ist bei den übrigen ihr Enthusiasmus umso ansteckender, auch wenn die Punktewertung am Schluss nicht immer 8/10 oder 9/10 lautet.
Zurück in die Stadtbibliothek. Ihre «missionarische» Ader lebt Manuela Hof-stätter seit etlichen Jahren mit solchen «Lesefieber on tour»-Präsentationen aus. In Kloten ist sie allerdings zum ersten Mal. Ungewöhnlich ist für sie das Format der Matinee unter der Woche. Dass sich dennoch ein hübsches Häufchen an Interessierten eingefunden hat, freut sie sehr – konstatiert dann allerdings eine wohl dem Zeitpunkt geschuldete tiefe «Herrenquote».
Der erwähnte Artikel in der «NZZ am Sonntag» dürfte eine Rolle dabei gespielt haben, dass der Kanton Zürich bis heute ein besonders wichtiges Missionsgebiet von Manuela Hofstätter ist – und das ungeachtet ihres ausgeprägten Berner Oberländer Dialekts. In der Einleitung witzelt sie, dass sie nach der Präsentation allenfalls Übersetzungsdienste anbieten könne.
Angebot lebendig werden lassen
Als erstes Buch empfiehlt Manuela Hof-stätter «Grossmütter», den zweiten Roman von Melara Mvogdobo, immerhin als eines von fünf Büchern für den Schweizer Buchpreis nominiert. Doch sie hat einen Verdacht: Wer das Buch gelesen habe, fragt sie in die Runde. Keine Hand geht nach oben. «Voilà», kommentiert sie trocken und fügt hinzu, bei Jonas Lüscher oder Dorothee Elmiger wäre das wohl anders gewesen. Und los geht’s mit der lebhaften Schilderung des Inhalts. Hier zeigt sich Hofstätters besondere Begabung: So viele Bücher sie auch verschlingen mag, versteht sie es, detailreiche und akkurate Zusammenfassungen vorzutragen, ohne kaum je zu stolpern. (Der Schreibende erblasst beim Zuhören vor Neid: Er hat schon Mühe, ein einziges Buch präzise zu rekapitulieren …) Die Wertungen hingegen sind, wie in ihrem Blog, persönlich, eher knapp und ganz und gar nicht feuilletonistisch.
Fragen wir zum Schluss Esther Birk, was das Team der Stadtbibliothek dazu bewogen hat, diesen Anlass zu organisieren. «Bibliotheken sollen Orte der Begegnung sein», meint sie. «Eine Veranstaltung wie das Lesefieber lässt das hiesige Angebot lebendig werden.» Sie sei gespannt gewesen, ob das Matineeformat in Kloten funktioniere – und das habe es getan: Manuela Hofstätters «witzig inszenierte Show» habe mit einer klassischen Buchpräsentation wenig zu tun gehabt, «dafür umso mehr mit guter Laune: Unsere Lachmuskeln kamen ordentlich zum Einsatz.» Und es stimmt: So gern sich die Vielleserin Hofstätter ins Bett zurückzieht – auf der Bühne fühlt sie sich offensichtlich genauso wohl.
Vier Lesetipps von Manuela Hofstätter
Anna oder: Was von einem Leben bleibt; Henning Sussebach, ISBN: 978-3-406-83626-8
Der Doktor und der liebe Mord; René Anour, ISBN: 978-3-499-01378-2
Vier Freunde liefern ab; Marc Du Buisson, ISBN: 978-3-7296-5198-2
Wo der Name wohnt; Ricarda Messner, ISBN: 978-3-518-43232-7
Der Doktor und der liebe Mord
Lernen Sie Severin kennen, den besten, engagiertesten Tierarzt aller Zeiten, was man von seinem Chef, dem der Gnadenhof gehört, nicht sagen kann. Der Chef hat nämlich Spendengelder in Millionenhöhe veruntreut. Aber plötzlich ist der Chef tot, und Severin erbt den Hof und die Tiere samt einem Porsche. Wie kann das mit rechten Dingen zugegangen sein? René Anour schreibt einen hinreissend komischen und zugleich spannenden Kriminalroman. (mh.)
Der Doktor und der liebe Mord; René Anour, ISBN: 978-3-499-01378-2
Anna oder: Was von einem Leben bleibt
Anna Kalthoff war eine aussergewöhnliche Frau, sie lebte in der Zeit der Industrialisierung. 1887, im Alter von 20 Jahren, stand sie als junge Dorfschullehrerin im Sauerland vor 40 Kindern, die Mündigkeit erreichte sie erst ein Jahr später, und das Lehramt verlangte das zölibatäre Leben. Henning Sussebach ist es aufs vortrefflichste gelungen, dem mutigen und inspirierenden Leben seiner Urgrossmutter ein literarisches Andenken zu erschaffen. Ein Roman über eine Frau, die ihr Leben so gestaltete, wie sie es wollte, ihrer Zeit weit voraus. (mh.)
Anna oder: Was von einem Leben bleibt; Henning Sussebach, ISBN: 978-3-406-83626-8
Vier Freunde liefern ab
Marc Du Buisson erzählt in dieser warmherzigen Komödie von einem Enkel und seinem Grossvater, welche eine gemeinnützige Institution in ihrem Dorf retten wollen. Weil dem Enkel ein Auslieferer für den Mahlzeitendienst fehlt, springt der 80-jährige Grossvater ein, und bald muss er auch seine drei besten Freunde um Hilfe bitten. Dieses Buch beweist: Auch in hohem Alter ist noch vieles möglich – ein Plädoyer für Gemeinschaft statt Einsamkeit. (mh.)
Vier Freunde liefern ab; Marc Du Buisson, ISBN: 978-3-7296-5198-2
Wo der Name wohnt
In diesem eindrucksvollen Debütroman begibt sich eine Enkelin auf eine tiefgehende Spurensuche nach der Geschichte ihrer Familie über vier Generationen hinweg. Der Tod der Grossmutter und die Räumung ihrer Wohnung wecken Erinnerungen an die Kindheit und Fragen nach der Flucht aus dem sowjetischen Lettland der 1970er-Jahre. Mit feiner Intensität und historischer Tiefe verbindet die Autorin Abschied, Erinnerung und Courage, denn die Enkelin möchte den Namen ihrer Vorfahren annehmen, doch das Amt stellt sich quer. (mh.)
Wo der Name wohnt; Ricarda Messner, ISBN: 978-3-518-43232-7