Eine Erfahrung in «Very Slow Fashion»
Dank Fast Fashion gehört die Modebranche zu den dreckigsten Industrien weltweit wegen der Ausbeutung von Umwelt und Arbeitenden – und der gigantischen Müllhalden mit neuster Ware rund um den Globus. Es geht auch anders, wie ein persönliches Erlebnis anschaulich dokumentiert.
Früher gab es zweimal im Jahr neue Kleider im Angebot: die Frühling/Sommer- und die Herbst/Winter-Kollektion. Traditionelle Modehäuser fügen mittlerweile noch zwei Vor- oder Zwischenkollektionen dazu und kommen auf vier. In der Fast Fashion gibt man mehr Gas: 12 bis 16 sind es hier, gewisse Marken schaffen auch 24 im Jahr – der Produktionszyklus vom Entwurf bis zur Auslieferung dauert dann gerade mal drei Wochen.
Ein Zeichen setzen
So wurde ich Anfang 2020 über einen Zeitungsbericht auf ein Projekt aufmerksam, das die Gebana AG, welche sich auf fairen Handel weltweit direkt ab Hof spezialisiert hat, im Rahmen ihrer «Plattform Marktzugang» zusammen mit dem Modelabel Nikin, der Entwicklungsorganisation Ecos und dem ETH-Startup Haelixia Ende 2019 lanciert hatte: das sogenannte «Traceable TreeShirt» aus Bio-Baumwolle aus Burkina Faso. Also ein fair und umweltfreundlich produziertes T-Shirt, das nachhaltig ist und dessen Lieferkette transparent nachvollziehbar sein sollte. Ja, wieso nicht? Eine gute Idee, dachte ich mir und schlug zu.
Kaum bestellt, zogen die ersten Probleme auf: Die in Burkina Faso geerntete Bio-Baumwolle harrte dem nächsten Bearbeitungsschritt, dem Entkernen. Doch – man erinnere sich – da wanderte ein «Käfer» um den Globus: Während der Coronavirus in unseren Breitengraden für Toilettenpapierpanikkäufe sorgte, erschwerte es in Burkina Faso die Vor-Ort-Abstimmung mit den Verantwortlichen, da keine Geschäftsreisen mehr möglich waren. Auch die designierte Spinnerei in Griechenland hatte im Tohuwabohu einen anderen Auftrag angenommen und war vorerst blockiert. Trotzdem ward eine Lieferung bis Weihnachten optimistisch in Aussicht gestellt. Das kratzte nicht weiter, da man sich in aussergewöhnlichen Zeiten befand, die einen voll in Anspruch nahmen.
Doch im November wurde die Käuferschaft informiert, dass es mit Weihnachten nichts wird: Die Spinnerei hatte eine Mindestmenge zur Verarbeitung verlangt, doch die Suche nach weiteren Abnehmern gestaltete sich aufgrund der unsicheren Lage als schwierig. Die Baumwoll-Bäuerinnen und -Bauern aus Burkina Faso konnten ihre Ernte aber anderweitig zu einem guten Preis verkaufen.
Neue Ernte, neues Glück?
Das hiess, sich auf die neue Baumwollernte 2021/22 zu konzentrieren, und im Sommer 2022 kam dann die Info, dass die Produktion nun endlich starten könne. Die Planung zur Markierung startete – die Bio-Baumwolle sollte dank DNA-Technologie zu 100 Prozent rückverfolgbar sein – und gleichzeitig sollten die Muster erstellt werden. Nach fast zwei Jahren Corona-Auf-und-Ab hatte sich die Situation beruhigt – jetzt konnte es vorwärtsgehen. Und ich rechnete mit einer Lieferung bis zu Weihnachten 2022 statt 2021. Es fühlte sich ja schon jeweils wie Weihnachten an, wenn man alle paar Monate ein neues Infomail erhielt, welches einen über den aktuellen Fortschritt auf dem Laufenden hielt. Oder auch nicht: Im Januar und im September 2022 wurde in Burkina Faso zweimal geputscht, so war erst im Dezember die Baumwolle zu Garn versponnen worden. Aufgrund der bisher aufgelaufenen Verspätung konnten aber immerhin nun weitere Produktionsschritte im Land selbst durchgeführt werden, sodass die Wertschöpfung in einem der ärmsten Länder vorangetrieben werden konnte. Das machte das Projekt noch einmal sympathischer. Ach, die paar Monate mehr machen darob den Braten auch nicht mehr feiss.
Im Juni 2023 wurde die Produktion des Stoffes beziehungsweise des T-Shirts verkündet, und wir Bestellenden hatten die Gelegenheit, nochmals die Grösse zu überprüfen – falls wir in der Zwischenzeit nicht mehr die gleiche Grösse benötigen würden. Nicht unbegründet, diese Bedenken, denn es lagen zwischen der Bestellung und dem Update immerhin schon drei Weihnachtsfeste. Und die schlagen sich ja bekanntermassen gerne als Hüftgold nieder.
Stetig kamen Fortschrittsmeldungen über den Fortgang, und die Vorfreude auf die Auslieferung erster T-Shirts im Oktober 2023 wurde jedenfalls nachhaltig geweckt. «Nur» dreieinhalb Jahre nach der Bestellung.
Technische Probleme …
Doch es war wie beim Fünf-Kilometer-Waldlauf in der Schule, als man nach Jahren feststellte, dass die Strecke falsch abgemessen worden war und man den Lauf um einen Rank am Waldrand erweitern musste – die letzten zweihundert Meter waren immer die schlimmsten. Und auch hier zog sich die Zielgerade spürbar in die Länge: Im Dezember 2023 beziehungsweise im Februar 2024 wurde die Kundschaft darüber informiert, dass vor allem der Färbeprozess etwas Kopfzerbrechen verursachte, unter anderem überschritten die zertifizierten Farbstoffe das Mindesthaltbarkeitsdatum, weswegen es sogar zu einem vorläufigen Produktionsstopp kam. Ein neuer Lieferant musste gefunden werden.
In jedem Mail wurde freudig darauf hingewiesen, dass es bald so weit sein würde, die T-Shirts in die Schweiz exportieren zu können. Es war immer so eine Gefühlslage à la Schrödingers Katze: diese Gleichzeitigkeit von Vorfreude auf das baldige Ende und leichtem Zweifel, ob es denn jetzt wirklich klappen würde.
Das Infomail, welches im März 2024 den Endspurt ankündigte, war für mich auch das letzte Lebenszeichen vom Projekt. Als ich im darauffolgenden Herbst/Winter die Mailadresse änderte, ging die Gebana bei mir unter, und was noch oder falls etwas verkündet worden war, erreichte mich nicht mehr. Umso grösser war die Überraschung, als Mitte März diesen Jahres plötzlich das T-Shirt endlich da war, «nur» fünf Jahre nach der Bestellung. Überraschend auch, weil ich mich kaum noch daran erinnern konnte, was ich eigentlich bestellt hatte.
Ende gut, alles gut
Gespannt öffnete ich das adrette Päckli, und der Anblick gefiel: Die Farbe war weniger schrill, als ich befürchtet hatte, ein wertiger Stoff – kurz, es machte einen positiven Eindruck. Doch – o Schreck – falsche Grösse! Also reklamieren und wieder vertröstet werden. Es sollten zunächst alle Bestellungen abgearbeitet werden, bevor an Umtausch zu denken war. Bis zur Zusendung der richtigen Grösse dauerte es nochmals bis Anfang Juli. Doch Ende gut, alles gut. Schliesslich hatte ich auf dieses eine T-Shirt ganze 5 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen und 4 Tage gewartet – in dieser Zeit haben die Fast-Fashion-Labels rund 75 Kollektionen entsorgt, äh, kreiert.
Nachhaltig produziert ist dieses T-Shirt durchaus. Um es noch nachhaltiger zu machen, kann ich nun eine möglichst lange Tragedauer rausholen. Vielleicht dient da ein anderer Erfahrungswert: Das älteste T-Shirt in meinem Kleiderschrank ist gut 30 Jahre alt – hält dieses neue Shirt auch so lange, könnte es durchaus als letztes Hemd dienen.