«Ich hätte an keinem besseren Ort sein können»
Urs Niederberger lebt seit 10 Jahren im Tertianum Bubenholz. Es gefällt ihm ausserordentlich, und er nutzt die vielen Angebote, soweit es die Gesundheit zulässt. Der einstige Single hat hier sogar die Liebe seines Lebens gefunden.
Urs Niederberger ist Tertianum-Bewohner der ersten Stunde, «aber nicht der einzige», wirft er ein. Und er ist nicht das erste Mal in Glattbrugg. Zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn lebte er mehrere Jahre ganz in der Nähe an der Pfändwiesenstrasse. Das war äusserst praktisch, denn in 20 Gehminuten erreichte er seine Arbeitsstelle in der Werft der Swissair.
Dazu kam er dabei eher durch Zufall: In den 1970er-Jahren weilte er in England, um die Sprache zu lernen und «die Welt besser zu verstehen», wie er erzählt. Denn der gelernte Elektromechaniker hatte vor, viel zu reisen (was er später auch tat). Eines Tages kamen Leute von der Swissair an seine Sprachschule, da sie dringend Leute suchten – vor allem Hostessen (die heute «Cabin Crew Members» heissen). «Ich ging ebenfalls hin und fragte, ob sie auch Elektromechaniker brauchen konnten», erinnert sich Urs Niederberger. Das taten sie, und als er Ende Jahr in die Schweiz zurückkehrte, meldete er sich bei der Airline. Neben der Stelle brauchte er auch eine Wohnung, und innert weniger Tage hatte er beides. «Dabei war ich nie zuvor geflogen und mit dem Zug nach England gereist», schmunzelt der 83‑Jährige heute.
Die Arbeit in der riesigen Werft war für den Innerschweizer gewöhnungsbedürftig. «Es war wie auf der Baustelle: Wenn das riesige Tor offen stand, war es drinnen genauso kalt wie draussen. Und ich sagte mir: In dieser Firma wirst du nicht alt.» Doch wie man dort eine ganze DC‑8 (ein vierstrahliges Verkehrsflugzeug, Anm. d. Red.) komplett auseinandergenommen, kontrolliert, gereinigt und wieder zusammengesetzt habe, sei faszinierend gewesen. Mit seinen Arbeitskollegen aus derselben Gruppe habe er aber auch viel privat unternommen, sogar Weihnachten gefeiert. «Ich arbeitete oft über die Festtage, damit andere bei ihren Familien sein konnten», erzählt Urs Niederberger, der stets Single war.
Früh vorgesorgt
Als die Swissair später am Balsberg Wohnhäuser baute, bekam er dort eine Wohnung und musste nur noch durch das Wäldchen und übers Bahngleis, um zur Arbeit zu gelangen. Später wechselte er von den elektrischen Fluginstrumenten und Radiogeräten zurück in die Feinmechanik und sogar in die klimatisierte und staubfreie «Kreiselwerkstatt», wo er die hochsensiblen Fluginstrumente wartete – bis zum Grounding. Man legte ihm nahe, sich frühpensionieren zu lassen; andernfalls würde ein Familienvater seine Stelle verlieren. Das wollte Urs Niederberger verhindern und ging. «Ich hatte Erspartes und kam so über die Runden.»
In einem Seminar, von denen er nach seiner Zwangspensionierung viele besuchte, ging es unter anderem um die Anforderungen an eine altersgerechte Wohnung – wovon seine weit entfernt war. Deshalb habe er sich frühzeitig umgesehen, sei allerdings ob der Preise erschrocken. Eines Tages sei ein Prospekt für diese Alterssiedlung, die damals noch «Vitadomo» hiess, im Briefkasten gelegen. Und obwohl er wegen der stinkenden und russenden Flugzeuge (die er ja regelmässig im «Übergwändli» hatte reinigen müssen, damit wegen des leitenden Kohlestaubes die Elektrik nicht versagte) nie mehr in Glattbrugg wohnen wollte, bewarb er sich mit 73 erfolgreich. Neben den Annehmlichkeiten wie der eigenen Waschmaschine schätzt er die vielen Aktivitäten und Kurse.
Bei einer, dem Tanzen, habe er dann «jemand Sympathischen kennengelernt». Bald einmal seien er und Rita auch zusammen spazieren gegangen, und an ihren 85. Geburtstag sei er ebenfalls eingeladen gewesen. «Sogar aus ihrer Heimat Italien kamen Verwandte, sicher 50 Leute», erinnert sich Urs Niederberger, «und ich hatte zuvor niemanden gekannt.» Er habe Rita so gern bekommen, dass sie sich nach etwa einem Jahr verlobt hätten. Dabei habe er zu Beginn gedacht, er komme her zum Sterben, schmunzelt er, angesichts der Kranken- und Leichenwagen, die halt ab und zu vorfahren. «Aber ich hätte an keinem besseren Ort sein können.»
Unvergessliche Tage auf Mallorca
Mit seiner Rita und ihren erwachsenen Kindern verbrachte er dann auch unvergessliche Ferien auf Mallorca – wobei er seiner Verlobten zuerst die Flugangst nehmen musste, was dem früheren Swissair-Mitarbeiter auch gut gelang. Auf der «Putzfraueninsel» genossen sie ein Zimmer mit Balkon und Sicht aufs Meer, Swimmingpools vor dem Hotel und auf dessen Dach – und eine Strasse voller Elektroautos. «Das Einzige, was Lärm machte, war die Polizei.» Aus Neugier hätten sie auch den berühmt-berüchtigten «Ballermann» (eine Verballhornung des spanischen «balneario» für Strandbude) besucht. «Die Jungen haben schon gestaunt, als wir zwei Alten da aufgetaucht sind», lacht Urs Niederberger.
Urs umsorgte seine Rita weiter, als diese mehr Pflege brauchte und später von der Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in die Pflegeabteilung wechseln musste. Nach einem Sturz, bei dem sie sich zwei Lendenwirbel gebrochen hatte, erholte sie sich nicht mehr. 2023 starb Rita mit 90 Jahren. Urs Niederberger besucht täglich ihr Grab auf dem Friedhof Halden und sieht nach der Kerze für die Frau, welche ihm den Lebensabend so versüsst hat.