Gedankensplitter: Warum wir böse werden

Friedjung Jüttner

Seitdem Theologen nicht mehr an den Teufel glauben, haben sie Schwierigkeiten, das Böse herzuleiten. In einem Artikel («Publik-Forum» 18/2025) meint Matthias Demenyi: «Die Angst macht böse.» Diese Aussage ruft bei mir sofort Widerspruch hervor, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es genau umgekehrt ist. Wer mit dem Bösen konfrontiert wird, bekommt Angst. Das Böse schlechthin gibt es eigentlich gar nicht. Aber wir Menschen – und zwar wir alle – können böse werden. Das zeigt sich nicht nur in Wut und Hass, sondern auch in Neid und Eifersucht. Und diese Gefühle nähren böse Gedanken, die sich in Taten Luft verschaffen möchten. Die nennen wir dann böse. Damit ist aber noch nicht erklärt, woher diese bösen Gefühle kommen. Herr Demenyi meint, es ist die Angst, die böse macht. Die Psychologie führt das Böse auf Ungerechtigkeit zurück. Wenn mir Unrecht widerfährt, werde ich böse. Eigentlich ein von der Schöpfung vorgesehener Schutzmechanismus.

Die Bibel (Gen 4) beschreibt das sehr gut. Kain wird böse und erschlägt seinen Bruder Abel, weil Gott dessen Opfer bevorzugt. Aus Kains Sicht behandelt ihn Gott ungerecht. Und als Kain «das Blut in den Kopf stieg» (Gen 4, 5), stellt Gott auch noch die hinterhältig anmutende Frage: «Warum wirst du zornig?»

 

«Das Böse schlechthin gibt es eigentlich gar nicht. Aber wir Menschen – und zwar wir alle – können böse werden.»

Friedjung Jüttner, Dr. phil., Psychotherapeut

 

Beides hat Kain böse und schliesslich zum Brudermörder gemacht. Angst hatte er keine. Erst nach dem Mord. Und da hat ihm Gott dann geholfen und ihn unter seinen Schutz gestellt.

Ich versuche zusammenzufassen: Das Böse an sich gibt es nicht, es sind immer wir Menschen, die böse werden. Das ist zuerst noch nicht böse, sondern eine normale, gesunde Reaktion. Böse wird es aber, wenn wir uns nicht mehr zügeln können und in Worten oder gar Handlungen den Gefühlen freien Lauf lassen.

«Bösewichte» glauben aber auch, dass man ihnen Unrecht tut. Das hat mit der persönlichen Einschätzung einer Situation zu tun. Herrn Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine mit «Abgründen des Bösen» (Demenyi) zu vergleichen, ist darum sehr einseitig. Putin glaubt sich im Recht und vom «Westen» ungerecht ­behandelt.

Auch unser eigenes Bösewerden kann uns Angst machen. Muss es nicht, solange wir versuchen, es angemessen auszuleben. Doch das bleibt eine Lebensaufgabe.