Gedankensplitter: Ameisenperspektive
Ameisen möchten wir nicht gern in unserer Küche antreffen. Trotzdem geniessen sie bei uns Menschen ein hohes Ansehen. Sie sind zum einen Musterbeispiele für Fleiss und Zusammenarbeit, und zum andern staunen wir über ihre Kraft.
Jedes dieser kleinen Wesen ist ein wahres Kraftpaket. Es kann Gegenstände tragen, die das 50-Fache seines Körpergewichts wiegen. Ich wage nicht, mir das bei uns Menschen vorzustellen. Dafür möchte ich etwas anderes vergleichen.
Ich gehe davon aus, dass auch Ameisen ein Weltbild haben. Sie wissen, wo ihr Zuhause ist; sie wissen, was ihre Aufgabe in dieser Welt ist. Sie strömen aus, um diese Aufgabe zu erfüllen, und finden immer wieder zurück in ihren Bau.
Ob sie das bewusst, also überlegt tun oder nur aus Instinkt, ohne dabei denken zu müssen, ist jetzt nebensächlich. Sie haben ein Weltbild, eine Sicht ihrer Welt, in der sie sich orientieren und leben können.
«Aber auch unsere Sicht der Welt ist nur eine begrenzte, eine partielle.»
Das Weltbild von uns Menschen ist um ein Vielfaches differenzierter. Und vermutlich bewegen wir uns in unserer Welt auch bewusster, obwohl es die gleiche ist wie die der Ameise. Aber auch unsere Sicht der Welt ist nur eine begrenzte, eine partielle. Denn unsere Sinne erlauben uns nur eine unvollständige Wahrnehmung der Realität. Die Welt ist eigentlich – so sagen die Wissenschafter – eine ganz andere als die, die wir wahrnehmen.
Mag auch zwischen dem Weltbild einer Ameise und dem meinen ein grosser Unterschied bestehen, so ist also auch mein Weltbild weit entfernt von der eigentlichen Realität.
Und wenn ich dann Bilder von Himmelskörpern sehe, die uns das James-Webb-Weltraumteleskop zur Erde gesandt hat, dann kommen mir zwei Fragen in den Sinn: Was werden unsere Nachfahren in fünfzig oder hundert Jahren noch alles entdecken, und was für ein Weltbild werden sie haben? Und die andere Frage: Ist mein heutiges Weltbild wirklich so weit von dem einer Ameise entfernt?