«Wichtig ist vor allem, dass zuerst alle Kinder gut Deutsch können»

Pascal Turin

Der Kantonsrat will Frühfranzösisch abschaffen und hat damit in der Romandie für Empörung gesorgt. Hinter demVorstoss steht Mitte-Kantonsrätin Kathrin Wydler. Die Wallisellerin sagt, dass das Thema zu emotional diskutiert wird.

Au revoir, Frühfranzösisch: Statt ab der fünften Klasse der Primarschule soll Französisch im Kanton Zürich erst ab der ersten Klasse der Sekundarschule beziehungsweise des Gymnasiums gelehrt werden. So hat der Kantonsrat entschieden. Hintergrund war ein parteiübergreifender Vorstoss der Mitte-Politikerin Kathrin Wydler. Ihre Motion – mitunterzeichnet von Hanspeter Hugentobler (EVP), Ursula Junker (SVP) und Nadia Koch (GLP) – sorgte über die Kantonsgrenzen hinaus für Aufruhr. Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Die Mitte) hat nun zwei Jahre Zeit, um die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen und diese dem Parlament zu präsentieren. Die Zürcher Regierung hatte sich deutlich gegen eine Abschaffung des Frühfranzösisch ausgesprochen.

Kathrin Wydler, Sie haben mit Ihrer Motion in ein ziemliches Wespennest gegriffen. Wann war für Sie klar, dass Frühfranzösisch auf der Primarschule so nicht mehr funktioniert – gab es einen Schlüsselmoment?

Einen eigentlichen Schlüsselmoment gab es nicht. Aber man hat in den letzten Jahren gesehen, dass die Grundkompetenzen in Deutsch und Mathematik schwächer werden. Das hat auch der neuste nationale Bericht zur Überprüfung der Grundkompetenzen bestätigt. Mir wurde klar: Wir müssen handeln – gerade auch, weil der Lehrplan insgesamt sehr überladen ist.

Was hat Sie überzeugt, dass Französisch auf die Sekundarstufe verschoben werden sollte?

Viele Lehrpersonen sagen mir, dass man in der Oberstufe im Französisch praktisch wieder von vorne beginnt. Da stellt sich schon die Frage, was das Frühfranzösisch auf der Primarstufe bringt. Die drei Lektionen pro Woche in der 5. und 6. Klasse könnte man sinnvoller nutzen – etwa für Deutsch oder Mathematik oder einfach für mehr Freizeit für die Kinder.

Kritikerinnen und Kritiker meinen, damit bremse man die Stärkeren aus.

Das sehe ich nicht so. Wichtig ist vor allem, dass zuerst alle Kinder gut Deutsch können, bevor sie weitere Sprachen lernen. Wer besonders begabt ist, kann in der Begabtenförderung in Frühfranzösisch gefördert werden.

Dafür fehlen den Schulen aber oft Ressourcen. Werden Sie sich künftig stärker für Begabtenförderung einsetzen?

Wir müssen uns sicher überlegen, wie wir die Begabtenförderung ausbauen können.

Wie gut ist die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner noch auf Sie zu sprechen  – normalerweise unterstützt die Mitte ihre Regierungsrätin?

Unterschiedliche Meinungen gehören in der Politik dazu. Wichtig ist, dass die Mitte-Fraktion im Kantonsrat hinter der Motion steht. Auch auf nationaler Ebene denken nicht alle in der Mitte gleich.

Haben Sie das Gefühl, das Thema Frühfranzösisch wird zu emotional diskutiert? Manche sehen gar den nationalen Zusammenhalt gefährdet.

Ja, das empfinde ich so. Jetzt muss man erst einmal abwarten, bis sich die Wogen glätten. Mir ist der Zusammenhalt in der Schweiz wichtig. Aber dieser hängt nicht von drei Lektionen Frühfranzösisch im Kanton Zürich ab. Vielmehr bringt der direkte Austausch – sei es während der Lehre, im Gymnasium oder im Beruf.Solche Programme müssen gefördert werden.

SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat den Entscheid des Kantonsrats öffentlich kritisiert. Wie haben Sie das aufgenommen?

Überrascht hat mich das nicht. Politisch verstehe ich, dass man in Bern ein Zeichen setzen will. Aber dieser Vorstoss hat sowohl eine pädagogische als auch eine politische Dimension. Ich habe klar die pädagogische Komponente höher gewichtet – weil mir das Bildungsniveau und das Wohl der Kinder wichtiger sind.

Welche Rückmeldungen haben Sie aus der Bevölkerung erhalten?

Von Lehrpersonen, Schulleitungen und vielen Eltern habe ich positive Reaktionen bekommen. Natürlich gab es auch Kritik, gerade aus der Politik. Manche würden lieber das Englisch später ansetzen. Darüber kann man diskutieren. Aber Fakt ist: Die Französischkenntnisse nach der Primarschule sind sehr bescheiden. Wichtig ist mir, zu betonen: Für die Mitte-Fraktion und auch für mich ist klar, dass eine zweite Landessprache gelernt werden soll. Die Frage ist, ab welcher Stufe.

 

«Manche würden lieber das Englisch später ansetzen. Darüber kann man diskutieren.»

Kathrin Wydler, Kantonsrätin (Die Mitte)

 

Frühfranzösisch steht ja in mehreren Deutschschweizer Kantonen auf der Kippe. In den Kantonen Uri und Appenzell Innerrhoden wird Frühfranzösisch schon heute erst in der Sekundarschule gelehrt. Warum sorgt der Zürcher Entscheid für so viel Aufregung?

Zürich ist der bevölkerungsreichste Kanton, wir stehen unter besonderer Beobachtung. Uns war klar, dass dieser Entscheid grosse Wellen schlagen würde. Spannender wäre herauszufinden, wie in der Romandie die Menschen auf der Strasse reagieren – ob sie ähnlich emotional sind wie die Politik.

Auf Primarstufe sind Lehrpersonen für Französisch ohnehin schwer zu finden.

Genau. Mein Sohn ist Primarlehrer und sagt klar: Es gäbe deutlich weniger Lehrpersonen, wenn Französisch im Studium Pflicht wäre. Und in der Romandie haben sie dasselbe Problem – dort fehlen auf der Primarstufe die Deutschlehrerinnen und -lehrer.

Droht jetzt wieder ein Flickenteppich, weil jeder Kanton etwas anderes macht?

Das glaube ich nicht. Das HarmoS-Konkordat, also die Harmonisierung der obligatorischen Schule in der Schweiz, ist ohnehin nie ganz einheitlich umgesetzt worden. In vielen Kantonen wächst der Druck auf das Frühfranzösisch. Die Erziehungsdirektorenkonferenz muss nun eine Lösung finden und dabei auch auf die Erfahrungen der Lehrpersonen hören  – die wissen am besten, wo es klemmt. Wenn man merkt, dass das Bildungs­niveau leidet, muss man Anpassungen machen – auch innerhalb von HarmoS. Bildung ist unsere wichtigste Ressource.

Hand aufs Herz: Wie gut ist Ihr Französisch?

Ich verstehe Französisch recht gut, könnte aber kein ganzes Interview führen. Sie hätten mich aber auf Französisch fragen können und ich hätte Ihnen auf Deutsch geantwortet. Zum Schluss möchte ich noch anfügen: Es geht mir bei der Abschaffung des Frühfranzösisch vor allem um Bildungsgerechtigkeit. Für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist – und auch für die Knaben, weil der Schulunterricht heute sehr sprachlastig ist.

Über die Person

Kathrin Wydler ist in Wallisellen aufgewachsen. Nach dem Gymnasium und dem Chemiestudium verbrachte sie zwei Jahre beruflich in den USA. Danach führte sie ihr Weg zurück ins Glattal. Seit 2014 ist die 58-Jährige Mitglied der Schulpflege Wallisellen und seit 2018 für die Mitte im Kantonsrat. Wydler sitzt in der Kommission für Bildung und Kultur. Die Politikerin hat drei Kinder.  

 

Frühfranzösisch: Der Bundesrat will durchgreifen

Obwohl im Moment alles auf Zürich schaut, hört die Debatte um das Frühfranzösisch nicht an der Kantonsgrenze auf. «Im Frühling 2025 hat schon das Parlament des Kantons Appenzell Ausserrhoden seiner Regierung in Auftrag gegeben, die Französischlektion in die Oberstufe zu verschieben», so das Schweizer Radio und Fernsehen auf seiner News-Website.

In vielen Kantonen laufen Diskussionen  – darunter St. Gallen, Thurgau, aber auch in den beiden Basel. Die Kantone Uri und Appenzell Innerrhoden haben Frühfranzösisch gar nie eingeführt und unterrichten Französisch erst ab der Sekundarstufe. Gar nicht erfreut ist man in Bundesbern: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) wehrt sich gegen die geplante Abschaffung des Frühfranzösisch. «Der Entscheid des Zürcher Kantonsrats zielt letztlich auf eine Entwertung der Landessprachen und unserer Kultur ab. Das ist eine Entwicklung, die ich sehr ernst nehme», sagte die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Der Bundesrat vertraue darauf, dass die Kantone die Sprachenfrage selber regeln könnten. «Aber wir wissen auch, dass der Bund handeln muss, wenn die Kantone das nicht hinbekommen», so Baume-Schneider.

Weil man in Bundesbern offenbar daran zweifelt, dass es die Kantone alleine hinbekommen, wird interveniert: Der Bundesrat hat das EDI beauftragt, eine Gesetzesänderung vorzubereiten. Die Kantone sollen eine zweite Landessprache auf Primarstufe unterrichten müssen. «Ziel ist es, die Bedeutung der Landessprachen und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften zu sichern», so der Bundesrat in einer Mitteilung. Diese Regelung solle nur greifen, falls der bestehende Sprachenkompromiss scheitere. (pat.)  

Gwunderbrunnen

07.10.2025 - 12:30
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