Gedankensplitter: Mit sich ins Reine kommen
Jemand ist mit sich im Reinen, wenn er sich akzeptiert, wie er ist, ohne mit sich zu hadern. Nur ist das gar nicht so einfach. Das hat mit unserem Menschsein und den damit verbundenen Mängeln zu tun.
Wir machen ja immer wieder Fehler, für die wir uns böse sein könnten. Diese Unvollkommenheit gehört also zu unserem Menschsein. Sie könnte Grund zu ständiger Selbstkritik sein. Und wie soll man sich trotzdem akzeptieren oder gar wohlfühlen?
Das kann mit einer freundlichen Sichtweise auf uns selbst gelingen. Wenn ich als junger Mensch die Meinung verinnerlicht hatte, dass man eigentlich keine Mängel haben sollte, dann kann man mit sich nie im Reinen sein. Sogar die eigenen Stärken wurden wie Schwächen missdeutet. Also zu denken, ich bin stark, war Eitelkeit. Zu sagen, ich bin ein guter Schüler, wurde als mangelnde Demut angeprangert.
«Dieses Ja zu sich selbst beschönigt oder verfälscht nicht die Realität. Es akzeptiert sie, ohne sich klein oder gross zu machen.
Dank der Psychologie habe ich diese eher moralisierende Optik auf mich verändern können. Mit ihrer Hilfe habe ich gelernt, meine Stärken und Schwächen realistisch einzuschätzen, und sie vor allem zu akzeptieren. Gerade im Umgang mit unseren Schwächen scheint mir das sehr wichtig. Auch wenn es manchmal schwierig ist. Feststellen, dass ich beispielsweise mit zunehmendem Alter ungeduldiger oder vergesslicher werde, ist eines. Sich deswegen aber nicht zu kritisieren oder zu ärgern, ist etwas anderes. Seiner Fehler und Schwächen wegen mit sich nicht ins Gericht zu gehen, heisst, mit sich ins Reine kommen. Es geht also um ein gutes, wohlwollendes Verhältnis zu uns selbst. Das Wort Selbstliebe hat manchmal etwas Anrüchiges an sich, aber um die geht es hier. Um die Fähigkeit, zu sich, zu seinen Stärken und Schwächen, Ja sagen zu können. Dieses Ja beschönigt oder verfälscht nicht die Realität. Es akzeptiert sie, ohne sich klein oder gross zu machen.
Ich wechsle jetzt das Thema, aber es drängt sich gerade auf. Es gibt Menschen, die ihre eigenen Fehler gar nicht sehen wollen. Sie glauben, sie seien einfach nur gut. Im Moment fallen einige Politiker mit dieser Haltung auf. Was sie antreibt, ist keinesfalls Selbstliebe; es ist unter anderem vor allem Selbsttäuschung. Sie wollen ihre persönlichen Defizite nicht wahrhaben. Sie können ihre Schwächen nicht akzeptieren und müssen sich deshalb selber in den Himmel loben. Über kurz oder lang fallen sie von ihrem eingebildeten hohen Ross und landen auf dem Boden der Realität.
Schon König Salomo, er lebte etwa 950 v. Chr., soll gesagt haben: «Hochmut kommt vor dem Fall» (Sprüche 16, 18). Ich hoffe, dass diese politischen Hochstapler, die im Moment ihr Unwesen treiben, doch noch mit sich ins Reine kommen.