Die Axt im Haus …
Ich hatte einen Lehrer, der uns mit Sprichwörtern aufzumuntern versuchte. Vor allem am Morgen, wenn wir noch etwas verschlafen im Klassenzimmer sassen. Ich erinnere mich nur deshalb daran, weil er die Fähigkeit besass, gewisse Sprichwörter miteinander zu vermischen, sodass sie mehrdeutiger wurden. Beispielsweise kam er in die Klasse mit der Bemerkung: «Morgenstunde ist aller Laster Anfang.» Er sprach uns aus den Herzen. Ich erinnere mich, dass er auch für den Satz «Die Axt im Haus erspart den Zimmermann» eine gelungene Abänderung parat hatte. Leider habe ich sie vergessen. Ich bemühe mich immer wieder, sie ins Gedächtnis zurückzurufen oder wenigstens selber eine brauchbare Mischung zu finden. Ich nehme es als eine persönliche geistige Herausforderung, nur hat sie mich bislang keiner Lösung näher gebracht.
Es ist bedenkenswert, dass die Menschheit Sprichwörter entwickelt hat und sie immer wieder gebraucht. Auch heute noch. Sie erinnern an gemeinsame Werte und zeitlose Weisheiten. Sogar die Wortwahl möchte nicht gestört werden. Das Sprichwort «Lügen haben kurze Beine» hat jemand kürzlich so abgeändert: «Lügen haben zwei linke Hände.» Da sträubt sich innerlich etwas bei mir, obwohl der Satz das Gleiche sagt. Aber die kurzen Beine haben hier ein gewisses Gewohnheitsrecht. Davon abgesehen, dass das mit den kurzen Beinen oft nicht stimmt.
«Sprichwörter erinnern uns auch heute noch an gemeinsame Werte und zeitlose Weisheiten.»
Nun hat kürzlich ein Herr Edi Estermann in der «Coopzeitung» (18. Juni) und im «Stadt-Anzeiger» (31. Juli) mitgeteilt, dass er ein ganzes Buch verfasst hat, in dem er Sprichwörter und Redewendungen gesammelt hat, die vermischt, verwechselt oder falsch gebraucht werden. Statt zu sagen, «der Wald voller Affen», (was von Shakespeare stammen soll), sagt jemand: «Der Wald voller Bäume.»
Herr Estermann hat vor allem Versprecher gesammelt, die einem im Eifer des Gefechts unterlaufen können. Beispielsweise: «Dem könnte ich die Gurgel (statt den Hals) umdrehen.» Bei ihm geht es vorab um Redewendungen und deren gedankliche Ausrutscher. Bei meinem Lehrer waren es ganz bedachte Veränderungen. Und das bringt mich zurück zur Axt, die den Zimmermann erübrigt. Seit Jahren habe ich keine Axt mehr in der Hand gehabt. Ob das der Grund ist, warum mir dazu nichts einfällt?