Bilder, die wie Fotos wirken
Vor über 25 Jahren hat Garagist Andy Müller den Schraubenschlüssel gegen den Malerpinsel getauscht. In dieser Zeit ist eine Vielzahl von Bildern entstanden, die von ihren Vorbildern nur schwer zu unterscheiden sind.
Das ehemalige Bauernhaus im schmucken Otelfingen sieht von aussen nicht nach Malatelier aus. Doch im Flur und in der Stube finden sich neben Sofa und Esstisch auch eine Staffelei und ein Tisch mit Malutensilien – und jede Menge Bilder. Dazwischen bewegt sich Andy Müller. Der 75-Jährige weiss trotz der grossen Zahl ziemlich genau, wo welches Werk steht, während er erzählt.
Aufgewachsen in Höngg, hat er bereits in der Schule gern gemalt und gezeichnet. Er wollte ursprünglich wie sein Vater Grafiker werden, hat dann als Hochbauzeichner angefangen, mit 18 Jahren (und gegen den Widerstand seines Vaters) zum Automechaniker gewechselt und eine sehr gute Abschlussprüfung absolviert. Bereits 1976 machte er sich mit 26 Jahren selbstständig. Neben dem Garagenbetrieb baute er an der Glattbrugger Rohrstrasse eine Motorenwerkstatt auf, in der er auch Getriebeautomaten revidierte. «Bis aufs Schleifen von Kurbelwellen habe ich alles gemacht», sagt er heute nicht ohne Stolz.
Von Motoren zu den Tieren
Diese erfolgreiche Berufskarriere im Autogewerbe wurde aber jäh beendet, als er nach 40 Jahren völlig unerwartet und kurzfristig die Kündigung seiner Werkstatt bekommen habe, erzählt Andy Müller. Auch deshalb fing er 1998 wieder mit Zeichnen und Malen an – in erster Linie für sich selber. Eines seiner ersten Werke zeigt einen Schneeleoparden. Auch Tiger gehören zu seinen liebsten Sujets. Und gerade beim Fell achtet Andy Müller nicht nur auf die Farbe, sondern auch auf die Textur derselben: Manche Tiere möchte man streicheln, so täuschend echt sehen sie aus. «Für diesen Tiger habe ich mit einer Radiermaschine und einer kleinen Trennscheibe die Fellstruktur in die Farbe geritzt – stundenlang», erläutert er die Technik.
Seine Stärke sind Porträts von Menschen oder Tieren, die er oft von Fotos malt und die erst auf den zweiten Blick als Gemälde zu erkennen sind – so präzise und akribisch setzt Andy Müller Acryl, Kohle, Farb- und Bleistifte ein.
Auch seine Frau und seine Eltern hat Andy Müller so verewigt. Als Vorlage dienten ihm Fotos der beiden Frauen; den Vater malte er vom «Original», etwa ein Jahr vor dessen Tod. Unter den Porträtierten sind aber auch Berühmtheiten wie Marilyn Monroe, «eine superschöne Frau», findet Andy Müller, von der er mehrere Bilder gemalt hat. Elvis Presley und Beatrice Egli stehen hier, weil Müller ihre Musik mag, ebenso Tina Turner.
Die ganze Familie porträtiert
Auf andere Sujets ist er eher zufällig gestossen: so etwa auf den Inhaber einer grossen Speditionsfirma, wie Müller ursprünglich Automechaniker «und innovativ», was den Maler beeindruckt hat. Als sein Cousin das Gemälde sah, zeigte er es auch dem Abgebildeten, weil er ihn persönlich kannte. «Danach hat dieser mich beauftragt, praktisch seine ganze Familie zu malen», freut sich Andy Müller. Neben eigenen Sujets, die er im Internet findet, malt er auch weiterhin im Auftrag.
Auch der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, der den Stil berühmter Maler täuschend echt imitierte (und die Bilder dann mit deren Namen unterschrieb), gehört zu Müllers Porträtierten, «weil er ein interessantes Gesicht hat», begründet Müller die Wahl.
Selbst an den grossen Meistern hat sich Andy Müller versucht: Jan Vermeers «Mädchen mit dem Perlenohrring» sei zwar etwas grösser als das Original, gibt Andy Müller zu, «dafür kostet meines auch keine 149 Millionen.» Auch ein nachgemalter «Mann mit dem Goldhelm» von Rembrandt van Rijn steht im Wohnzimmer, ebenso das «kartoffelschälende Mädchen» von Albert Anker.
Er malt, was ihm gefällt
Mitten unter all den Menschen und Tieren kommt auch das amerikanische Monument Valley zum Vorschein; Müller malt, was ihm gefällt. Eines seiner kompliziertesten Bilder zeigt ein Sklavenschiff. «Es ist ein Ausschnitt eines bestehenden Gemäldes», erläutert Andy Müller. «Ich habe sicher vier Wochen daran gearbeitet.»
Wenn er wieder vor einer leeren Leinwand sitzt, zeichnet er mit feinen Strichen vor, was er später malen will. «Manchmal nehme ich auch direkt den Pinsel und husch, husch!», erzählt Andy Müller. Mal dient ein Foto als Vorlage, mal entstehen die Bilder zuerst in seinem Kopf. Immer aber liest er sich zuerst in ein Thema ein – um dann bei einem Raubtier die exakte Zahl der Fangzähne abzubilden.
Manchmal probiert er auch einfach aus, etwa wie man Augen mit Farbstiften malen kann. «Hände und Füsse sind am schwierigsten», findet Andy Müller, «viel schwieriger als ein Gesicht.» Für ihn kein Grund, sie zu meiden, im Gegenteil: Er nimmt die Herausforderung an und probiert so lange, bis es passt. Da kann es auch passieren, dass er die Umgebung ein zweites Mal malt, weil sie ihm nicht gefällt – oder dass er gleich alle Farbe wieder von der Leinwand wäscht. «Das Sujet muss zu meiner Art zu malen passen. Tut es das nicht, nehme ich den grossen Roller und übermale es.»
Informationen: https://andy-art.ch
Bevor er malt, studiert Andy Müller sein Sujet sehr genau. Bilder Andy Müller
Andy Müller beherrscht Fell und Wasser.
Marilyn Monroe ist eines seiner liebsten Sujets.
Sieht aus wie ein Vermeer, ist aber zahlbar.
In seiner Stube malt Andy Müller seine Sujets. Bild Roger Suter